Die eisblaue Spur
daran
gedacht, dass es im Flughafen einen kleinen Duty-free-Shop gab,
aber sie hatte sowieso keine Lust auf Alkohol. Einige gingen mit
Zigarettenstangen zur Kasse, aber der Einzige, der die Chance
nutzte, günstigen Alkohol zu kaufen, war der Rettungsmann
Alvar Pálsson. Er stand mit einer Flasche Rum und einer
Flasche Campari in der Kassenschlange, immer noch genauso rot im
Gesicht wie bei der Begrüßung. Der Alkoholmenge nach,
die er für eine so kurze Reise kaufte, war er entweder ein
Säufer oder er stellte sich auf einen wesentlich längeren
Aufenthalt ein.
»Willst du was
kaufen?«, fragte Matthias, der den kleinen Shop offenbar
nicht sehr beeindruckend fand.
»Nein. Ich glaube, ich
brauche nichts.« Kopfschmerztabletten wären gut gewesen,
aber die waren nirgends zu sehen. Sie wollten den Laden gerade
verlassen, als Dóra abrupt in der Tür stehen blieb,
denn von der Sicherheitskontrolle drang eine vertraute Stimme zu
ihr.
»Wenn ich ein Feuerzeug
mit an Bord nehmen darf, warum darf ich dann nicht zwei
mitnehmen?«, tönte Bella. »Was kann ich denn mit
zwei Feuerzeugen machen, was ich mit einem nicht machen
kann?«
Dóra machte auf dem
Absatz kehrt und ging zurück zu dem Regal mit den
Spirituosen.
Während des
zweistündigen Flugs nutzte Dóra die Zeit, um den
Vertrag zu studieren. Sie suchte nach nützlichen Informationen
für den Fall eines Vertragsbruchs, fand aber nur den
Paragraphen zu Höherer Gewalt. Alles andere war unanfechtbar.
Sogar die Verhältnisse vor Ort, Behinderungen durch erschwerte
Transportbedingungen und das Wetter wurden berücksichtigt.
Offenbar war alles abgesichert, damit Bergtækni keine
Nachzahlung oder Fristverlängerung fordern konnte. Dóra
registrierte, dass England als Gerichtsstand festgelegt war. Falls
der Fall vor Gericht käme, würde die Bank sie nach der
Grönlandreise nicht mehr brauchen. Sie hätte vielleicht
noch ein paar Tage mit der Nachbearbeitung zu tun, und dann
wäre ihr Job beendet. Dóra hatte richtig getippt:
Sobald sich der Fall in wärmeren Gefilden abspielte,
übernahmen andere. Sie war zwar ein bisschen enttäuscht,
aber nicht so geknickt wie Bragi, wenn er davon erfahren
würde. Da hörte sie Bella weiter hinten im Flugzeug
herumkeifen.
Für die acht Passagiere war
ausreichend Platz in der Maschine. Dóra und Matthias
saßen ganz vorne. Sie konnten ihre Mitreisenden zwar nicht
sehen, aber die Schnarchgeräusche ließen darauf
schließen, dass einige es vorzogen, sich ein bisschen
auszuruhen. Was verständlich war, denn obwohl es draußen
hell war, konnte man nur den Himmel und das Meer sehen. Erst als
sie die grönländische Küste erreichten, wurde die
Aussicht interessanter. Das Land bot einen beeindruckenden Anblick:
Es war schneebedeckt, bis auf ein paar steile Berghänge und
einen dünnen Küstenstreifen, wo die Brandung den Schnee
geschmolzen hatte. Überall waren Eisschollen, so dass man den
Eindruck hatte, das Land würde zerbröckeln und aufs Meer
hinaustreiben. Die zerklüfteten Küsten verstärkten
diesen Eindruck noch. Auch auf dem Festland gab es keine ebenen
Flächen, es war von unzähligen Gipfeln durchzogen.
Nirgends waren richtige Strände zu sehen; dort, wo das Land
aufs Meer traf, gab es nur steile, graue Felsen. Keine menschlichen
Siedlungen in Sicht.
»Ob sich der Pilot
verflogen hat und uns zum Nordpol bringt?«, sagte Dóra
zu Matthias, als sie sich vom grellen Licht der Gletscher abwandte.
»Da kann doch niemand leben.«
Matthias beugte sich zum Fenster
und schaute hinaus. Als er sich wieder zu ihr drehte, wirkte er
fast erschrocken. »Das sieht nur aus dieser Höhe so
schlimm aus. Vielleicht sind wir auch noch zu weit nördlich.
Ich bin mir sicher, dass es unten besser wird.« Damit schien
er eher sich selbst als Dóra gut zureden zu
wollen.
»Das will ich hoffen.
Eirik der Rote war jedenfalls vollkommen farbenblind, als er dem
Land diesen Namen gegeben hat. Grünes Land. Da ist doch alles
weiß. Wie sollen wir da Eisbären erkennen? Wenn die die
Augen zumachen, sind sie unsichtbar.«
»Beim Camp gibt es keine
Eisbären«, sagte Matthias wenig überzeugend und
starrte wieder aus dem Fenster. »Das wird alles kein Problem
sein.«
»Hoffentlich. Aber eins
ist jedenfalls klar«, sie grinste Matthias an, »das war
kein Eisbär, der in dem Film die Axt geschwungen hat.«
Dann lehnte sie sich an seine Schulter und flüsterte:
»Hast du gemerkt, dass Bella die Einzige ist, die nicht
schläft?« Matthias drehte sich um.
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