Die eisblaue Spur
starrte Matthias an,
der immer noch ihrem Blick auswich. »Soll das ein Witz
sein?«
»Nein«, sagte
Matthias behutsam. »Bragi hat mich gestern Abend angerufen
und sie mir aufgedrückt. Er meinte, wir müssten ihr noch
nicht mal was dafür bezahlen, und es ist wirklich gut,
jemanden zum Protokollieren dabeizuhaben. Die Bank hat heute Morgen
grünes Licht gegeben. »Sie wird bestimmt eine
große Hilfe sein. Es müssen jede Menge Sachen getippt
werden.«
»Das ist ja wohl
lächerlich. Grönländische Seehundjäger
können garantiert besser tippen als Bella und sind wesentlich
fleißiger.«
Matthias machte keine Anstalten,
weiter darüber zu diskutieren. »Ich konnte einfach nicht
nein sagen«, murmelte er. »Du weißt doch selbst,
dass Bragi unheimlich hartnäckig sein kann.« Er
lächelte entschuldigend.
Dóra war sprachlos. Sie
war wütend auf Matthias und sauer auf Bragi und wusste nicht,
wen sie lieber eine Woche mit Bella in eine Zelle gesperrt
hätte. Der Kater hinderte sie jedoch daran, weiter
darüber zu streiten. Von ihren Plätzen konnten sie den
Eingang des Flughafens nicht sehen, aber am Check-in-Schalter war
nichts los. »Hoffentlich verpasst sie den Flieger«,
sagte Dóra und schaute auf die Uhr an der Wand. »Sie
muss einfach den Flieger verpassen.« Ohne weitere Worte
begann sie, die Unterlagen durchzublättern, in der Hoffnung,
dass sich ihre Wut dadurch legen würde.
Matthias schaute zerknirscht
drein. »Hm. Wenn sie wirklich zu spät kommt, fliegen wir
einfach ohne sie los.«
Dóra las weiter. Es waren
insgesamt fünf Schnellhefter, aber sie sah sofort, dass nur
zwei davon wichtig waren: der mit den Vertragsbedingungen und die
Korrespondenz zwischen Bergtækni und Arctic Mining. In den
anderen drei Mappen befanden sich Informationen über
geologische Untersuchungen und Wetterverhältnisse sowie
verkleinerte Zeichnungen mit so winziger Schrift, dass Dóra
überhaupt nichts lesen konnte. Eine Mappe trug die Aufschrift
Projektbeschreibung. Darin war aufgeführt, was Bergtækni
bei jedem Projektabschnitt leisten musste und wie die entsprechende
Vergütung aussah. »Warum kommt eigentlich niemand von
dieser Baufirma mit?«, fragte sie ohne aufzuschauen.
»Das ist ein ziemlich umfangreicher Vertrag. Es haben doch
bestimmt nicht alle Mitarbeiter der Firma vor Ort gearbeitet, oder?
Zumindest nicht die Firmenleitung.«
»Die Firma ist nicht sehr
groß«, antwortete Matthias, der offensichtlich froh
war, dass Dóra das Thema gewechselt hatte. »Sie ist
auf geologische Forschungen und damit verbundene
Wirtschaftlichkeitseinschätzungen spezialisiert, vor allem auf
dem Gebiet der Erdwärme. Der Firmengründer ist gerade mit
einem fünfköpfigen Team mit einem anderen Projekt auf den
Azoren beschäftigt. Darüber hinaus arbeiten nur die
zwölf Leute bei der Firma, die in Grönland waren. Und von
denen weigern sich zehn, ins Camp zurückzukehren. Die anderen
beiden sind ja ...« Er räusperte sich kurz, bevor er
weitersprach: »Im Sommer sollten neue Mitarbeiter für
den Bau einer Landebahn und weiterer Gebäude eingestellt
werden. Aber ob daraus noch was wird, hängt davon ab, ob
Bergtækni den Auftrag überhaupt behält. Für so
was findet man wesentlich leichter Mitarbeiter als für die
Vorbereitungsarbeiten. Wir sind in ständigem E-Mail-Kontakt
mit dem Geschäftsführer, aber er kann sich im Moment auf
keinen Fall loseisen. Das Letzte, was diese Firma im Moment
gebrauchen kann, ist die Gefährdung ihres zweiten
Projekts.«
Dóra nickte. Eine Stimme
verkündete über den Lautsprecher, das Charterflugzeug
nach Grönland sei bereit zum Einstieg. Dóra steckte die
Unterlagen in ihre Laptop-Tasche. Es sah ganz so aus, als
würde Bella die Maschine verpassen. Manchmal hatte man eben
Glück. Sie gingen zusammen mit den anderen zum Gate, wo
Dóra eine etwa dreißigjährige Frau bemerkte, die
sich zu der Gruppe gesellte. Das musste die Geologin sein. Sie
hatte allein in einer Ecke beim Eingang gesessen. Sie war
groß, so wie Dóra, aber ansonsten ganz anders.
Dóra war blond, während Friðrikka feuerrotes,
lockiges Haar hatte, das sie versuchte, mit einem Haargummi zu
bändigen. Im Gegensatz zu Dóra war sie ein bisschen
füllig. Matthias blieb stehen, als er sie näher kommen
sah, und stellte sie Dóra vor. Friðrikka reichte
Dóra ihre schwielige Hand, und sie begrüßten
einander. Die Frau wirkte zwar eher schüchtern, aber ihr
Händedruck war fest und ihr leiser Gruß
herzlich.
Dóra hatte nicht
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