Die eisblaue Spur
Tisch gelandet.
»Ja. Ich kann dir den
Werkvertrag und die Bedingungen für die
Erfüllungsgarantie schicken.«
Dóra überlegte.
»Habe ich das richtig verstanden, dass dieser Auftrag im
Ausland durchgeführt werden soll?« Sie hätte nichts
dagegen gehabt, ein paar Tage wegzufahren. Der Winter war extrem
kalt gewesen, und obwohl es schon März war, folgte ein
Schneesturm auf den nächsten.
»Ja, du müsstest ins
Ausland fahren.«
Dóra meinte, an
Matthias’ Stimme zu hören, dass das Ziel nicht besonders
attraktiv war. Aber im Gazastreifen, Irak, Afghanistan oder anderen
Krisengebieten waren bestimmt keine isländischen
Bauunternehmen tätig. So schlimm würde es schon nicht
sein. »Worum geht es denn bei dem Projekt?«, fragte
sie, in der Hoffnung, es handele sich um den Bau eines Hotels in
der Karibik. Sie hatte schon seit Ewigkeiten keine Gelegenheit mehr
gehabt, sich in ihrem schicken Bikini in der Sonne zu aalen. Warum
sollte ein Bergbaukonzern seine Tätigkeitsbereiche nicht
ausweiten und sich im Tourismus ... –
»Bohrungen, Dóra.
Es handelt sich um Testbohrungen und Baumaßnahmen für
die Gewinnung von Bodenschätzen im Auftrag von Arctic Mining.
In Grönland. Bergtækni hat das günstigste Angebot
gemacht und ist seit fast einem Jahr mit Leuten vor Ort. Bisher ist
alles reibungslos verlaufen. Aber jetzt ist etwas vorgefallen, und
das Team hat sich aufgelöst.«
Grönland. Eines der wenigen
Länder, wo es um diese Jahreszeit noch kälter und
ungemütlicher war als in Island. Statt Bikini wäre da
wohl eher eine Hose aus Seehundfell angebracht. Dóra
schluckte ihre Enttäuschung herunter. »Sind die
Mitarbeiter noch in Grönland?«
»Nein. Bis auf zwei
Männer sind alle wieder in Island. Die beiden sind
wahrscheinlich noch vor Ort. Die anderen hatten Urlaub und weigern
sich jetzt, zurückzufahren.«
»Was meinst du damit, dass
die beiden Männer wahrscheinlich noch vor Ort
sind?«
»Sie sind seit zehn Tagen
nicht erreichbar, und es gibt dort niemanden, der
überprüfen kann, was los ist. Vielleicht ist die
Kommunikationstechnik im Camp ausgefallen, aber um das
herauszufinden, muss eben jemand hinfahren. Wenn es eine
vernünftige Erklärung dafür gibt, können die
anderen Mitarbeiter vielleicht dazu bewegt werden,
zurückzukehren. Das wäre für die Bank natürlich
die beste Lösung.«
»Aber es könnte auch
was passiert sein? Die Männer könnten bei einem Unwetter
umgekommen sein oder so?«
»Durchaus denkbar«,
sagte Matthias. »So was ist schon mal vorgekommen. Vor einem
halben Jahr ist eine Geologin aus dem Camp verschwunden, eine junge
Frau. Sie gilt als tot. Jedenfalls wurde sie nie gefunden.
Wahrscheinlich hat sie sich im Sturm verlaufen und ist
erfroren.«
»Du meinst, sie ist
spazieren gegangen? Bei Sturm?«
»Das weiß niemand.
Sie ist einfach verschwunden, könnte sich auch das Leben
genommen haben. Wenn man so isoliert lebt, wird man schnell
depressiv.« Dóra schwieg. Schnell fügte Matthias
hinzu: »Aber darum geht es gar nicht, das hat nichts mit dem
Verschwinden der beiden Männer zu tun. Die sind
möglicherweise noch am Leben, vielleicht ist der Sender
ausgefallen, und sie konnten ihn einfach nicht wieder in Gang
bringen. Alle anderen Möglichkeiten wären allerdings eher
... negativer Art. Das Wetter war dort in der letzten Zeit so
ähnlich wie hier, nur noch schlimmer. Das können sie nur
überlebt haben, wenn sie drinnen waren. Wie auch immer, die
Lage ist ernst, sowohl was die beiden Männer als auch was die
Interessen von Bergtækni und damit der Bank
betrifft.«
»Wäre es nicht
einfacher, den grönländischen Rettungsdienst oder die
Polizei zu rufen? Das klingt alles ziemlich beunruhigend, und wenn
was passiert ist, müssen sich die Behörden doch sowieso
darum kümmern.«
»Das Camp liegt in einem
unbewohnten Gebiet an der Ostküste. Da gibt es zwar in
unmittelbarer Nähe ein kleines Dorf, aber keine
Polizeistation, und die Einheimischen sind nicht bereit, für
uns oder für Arctic Mining eine Suchexpedition zu starten.
Falls die Männer eine Lebensmittelvergiftung haben oder
irgendwie erkrankt sind, zählt jeder Tag. Wir können
einfach nicht warten, bis die Grönländer aktiv
werden.«
»Wenn es sich um eine
Krankheit handelt, bin ich aber keine große Hilfe«, gab
Dóra zu bedenken. »Und ich bin mir auch gar nicht
sicher, ob ich dahin möchte, wenn die Männer ernsthaft
oder sogar tödlich erkrankt sind.«
»Du würdest ja
natürlich nicht allein fahren. In
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