Die Eisfestung
zusammenstieß, der sich ihr in den Weg stellte. Sie schrie auf. Der Mann streckte blitzschnell seinen Arm aus und packte sie an ihrer Anorakmütze. Emily versuchte freizukommen, aber der Mann zerrte sie mit solcher Kraft zu sich heran, dass der Stoff ihrer Kapuze fast zerriss. Simon und Marcus, die hinter ihr kamen, waren starr vor Schreck.
»Hab ich euch!«, rief der Mann und schüttelte Emily an ihrer Kapuze hin und her. »Glaubt wohl, dass ihr euch hier rumtreiben könnt. He? He? He?« Und bei jedem Ausruf schüttelte er sie. Emily wimmerte ängstlich. Sie war so erschrocken, dass sie nicht wusste, wie ihr geschah. Irgendetwas Weißhaariges, knallrot Angelaufenes hatte sie fest im Griff und schimpfte zornig auf sie ein.
»Lassen Sie sie los«, sagte Simon mit zitternder Stimme. »Sie tun ihr weh.«
Der Blick des Mannes fiel auf Simon. »Dich kenn ich doch«, sagte er. »Schleichst wieder bei fremden Leuten herum, was? Man sollte dich mit dem Rest deiner Familie einsperren!«
Simon wurde bleich. Er antwortete nicht. Der Mann hielt Emily an ihrer Kapuze fest gepackt und machte den beiden anderen ein Zeichen, dass sie ihm zum Torhaus folgen sollten.
»Na los! Setzt euch in Bewegung!«, brüllte er. »Jeden Winter der gleiche Ärger mit euch Rowdys. Glaubt, ihr könnt euch hier rumtreiben, die Mauern beschädigen, das Gras zertrampeln, euren Abfall überall rumliegen lassen, als wär hier’ne Müllhalde... Nein nein, mein Bürschchen, brav dageblieben!«
Das galt Marcus, der sich langsam, aber sicher davonschleichen wollte, indem er immer weiter von der befohlenen Marschrichtung abwich. Der Mann machte einen Schritt zur Seite, verpasste ihm eine schnelle Kopfnuss, und schon ging Marcus wieder in der Reihe, sich verschreckt die schnell wachsende Beule reibend.
»Haha, hättst du nicht gedacht, was?«, sagte der Burgwächter barsch und passte jetzt auf, dass alle drei direkt vor ihm marschierten. »Das kriegen böse Buben, wenn sie den Burgfrieden stören. Und wenn sie immer noch nicht hören wollen, dann werden wir mal sehen, was die Polizei dazu sagt. Habt ihr das kapiert?« Zur Bekräftigung zerrte er heftig an Emilys Kapuze.
»Wir haben doch nichts Schlimmes getan«, sagte Simon, dem die Tatsache ihrer Gefangennahme noch am wenigsten die Sprache verschlagen hatte. Marcus und Emily brachten beide kein Wort heraus. »Bitte benachrichtigen Sie nicht die Polizei«, bettelte er. »Wir werden es auch nicht wieder tun.«
»Das kann ich für euch nur hoffen, ihr kleinen Einbrecher. Denn ich werde nach euch Ausschau halten. Ich bin jeden Tag hier, kapiert? Ob Regen oder Schnee, ich werde euch schnappen, sobald ihr euren Fuß auf dieses Grundstück setzt. Wie seid ihr überhaupt reingekommen – durch die Hecke?« Er zerrte wieder an Emilys Kapuze. »He? Sag’s mir! Ihr seid irgendwo durch die Hecke gekommen? Richtig?«
Emily nickte stumm.
»Jedes Jahr der gleiche Ärger. Habt ihr’ne Ahnung, wie alt die Hecke hier schon ist? Nein? Natürlich habt ihr keinen Augenblick daran gedacht. Zweihundert Jahre. Die Hecke ist zweihundert Jahre alt, und ihr macht einfach Löcher rein, damit ihr hier drin im Schnee spielen könnt! Unerzogene Bälger ohne Hirn und Verstand, das seid ihr, und wenn es nach mir ginge, dann würde man euch einsperren, um euch eine Lektion zu erteilen. Nach rechts, hier entlang« – sie hatten das Torhaus erreicht – »und jetzt weiter bis zum Eingang. Weißt gar nicht, wo das ist, junge Lady, was? Bist nicht daran gewöhnt zu bezahlen, was? Los, weiter mit euch...«
Sein ununterbrochenes Schimpfen begleitete sie, während sie trübselig bis zum Eingang stapften, einer Drehtür aus Metallstäben mitsamt einem winzigen Holzhäuschen, die der einzige Durchlass in der hohen Hecke war. Der Burgwächter stand daneben, als sie hastig nacheinander durch die Drehtür stolperten, die jedes Mal mit einem lauten Klick einrastete.
»Verschwindet!«, rief er ihnen durch die Gitterstäbe nach. »Diesmal seid ihr noch davongekommen. Aber wenn ich euch noch mal erwische, dann...«
Doch die drei waren schon viele Schritte weiter, auf der Straße an der verschneiten Hecke entlang. Sie gingen, so schnell sie konnten. Die Straße war ganz vereist und plötzlich rutschte Emily aus, verlor das Gleichgewicht und stürzte unglücklich auf ihren Ellenbogen. Hinter sich hörte sie das laute Gelächter des Wächters am Eingangstor. Schweigend halfen ihr Simon und Marcus auf die Füße. Sie gingen weiter.
Endlich
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