Die Eisfestung
den Rücken an eine Säule gelehnt, und starrte auf die Ritzen an der Wand.
»Hey, weißt du, was du tun kannst?«, sagte er. »Du kannst für uns den Eingang überwachen. Wir müssten eigentlich auf jeder Seite einen Posten haben. Aber ich denk mal, dass sie es wahrscheinlich wieder hier probieren werden. Okay? Ruf uns, wenn irgendwas Verdächtiges vor sich geht.«
Ohne große Begeisterung tat Emily, was man ihr gesagt hatte. So weit wie möglich vom Fenster entfernt, sodass sie gerade noch einen Blick auf den Polizisten erhaschen konnte, lehnte sie seitlich an der Mauer. Alle paar Minuten schaute sie auf die Uhr, sie hätte am liebsten die Zeiger mit Lichtgeschwindigkeit um das Zifferblatt kreisen lassen, damit die Dämmerung gleich da war. Aber die Zeiger rückten im Schneckentempo vor – es wurde zwölf, dann war zwölf vorbei, alles mit quälender Langsamkeit. Emily blickte flehend zum Himmel empor, ob nicht ein Schneesturm die Erlösung brachte.
Draußen stand der Polizist untätig herum, trat von einem Fuß auf den anderen, rieb sich immer wieder die Hände, trampelte kleine Kreise und kunstvolle Schlaufen in den Schnee und versuchte vergeblich, warm zu werden. In regelmäßigen Abständen kam einer der Kollegen vorbei, dann redeten die beiden ein paar Worte miteinander. Emily rückte näher, strengte sich an, um zu verstehen, was sie sagten, aber es gelang ihr nicht. Ob es reiner Zufall war oder Absicht – sie sprachen gerade so laut, dass sie immer wieder hinhörte, aber trotzdem nichts verstand. Einmal schaute der Polizist direkt zu ihrem Fenster hoch, und Emily duckte sich blitzschnell, aber sie war sich sicher, dass er sie gesehen hatte. Der Polizist ließ sich nichts anmerken, vielleicht war es doch nicht der Fall. Das Fenster lag hoch oben, es war schmal und die Mauern waren dick. Vielleicht war es noch mal gut gegangen. Emily überlegte eine Sekunde, dann zog sie die Mütze so tief wie möglich herunter und wickelte sich den Schal um die untere Gesichtshälfte. Das war besser als nichts, aber sie wünschte sich, sie hätte eine Balaklava, denn was nützte es, wenn sie es zwar schaffte, aus der Burg zu entkommen, dafür aber am nächsten Tag im Dorf erkannt wurde?
Marcus kam vorbei, in der Hand eine leere Wasserflasche. »Alles ruhig da draußen?«, fragte er.
Emily nickte.
»Ist auf den anderen Seiten auch so, sie stehen nur Wache, sonst nichts. Wir haben noch ein Brett rausgenommen und hinter die Tür geklemmt. Wir mussten es richtig fest reinrammen, aber das hält jetzt bombensicher. Ich hab noch ein paar Stellen vereist. Pass auf, wenn du über die Steinplatten läufst!«
In diesem Augenblick ertönten aus dem Funkgerät ein lautes Knacken und Knistern. Emily blickte wieder zum Fenster hinaus. Sie sah, wie der Polizist hineinsprach und gleichzeitig zum Parkplatz hinüberschaute.
»Da tut sich was«, sagte sie.
»Was hast du gesagt?«
Emily zog den Schal runter. »Da tut sich was.«
»Lass uns nachschauen.« Gemeinsam eilten sie auf die andere Seite, in die Vorhalle, wo sie auf Simon stießen, der gerade vom Turm herunterkam.
»Noch ein Auto«, stieß er hervor. »Und ein Transporter. Eine ganze Gruppe von Leuten. Sie kommen hierher.«
Emily sah mehrere Leute über die Brücke marschieren: Marcus’ Vater, auf dessen Stirn jetzt ein großes Pflaster klebte; Harris, der so mürrisch wie immer dreinblickte; ein Polizist in Uniform und eine kleine Frau in einem Daunenmantel, die ein Megafon in der Hand hatte.
»Verhandlungen?«, sagte Emily.
»Nicht schlecht«, murmelte Simon. »Sollten wir in die Länge ziehen. Zeit gewinnen.«
»Wie spät ist es?«
»Erst Viertel nach zwölf.«
»Scheiße.«
»Die bleiben alle dahinten stehen, bis auf die Frau. Kommt mit. Sie geht vor zum Eingang.«
Wieder im Säulenzimmer angelangt, drängten sie sich neben dem Fenster und spähten auf das Stück weißer Schneefläche hinaus, das sie durch das schmale Rechteck sehen konnten. Der Polizist, der dort Wache gehalten hatte, war verschwunden. Ein paar Augenblicke später tauchte der Kopf der Frau auf, das Megafon hatte sie schon an die Lippen gesetzt. Sie stellte es an, ein kurzes Kreischen und Summen folgte, dann rief sie den Namen von Marcus.
»Antworte ihr nicht«, flüsterte Emily. »Noch nicht.«
Die Frau wartete einen Augenblick, dann, als wäre dieses Schweigen genau das, was sie erwartet hatte, begann sie, langsam und bedächtig in das Megafon zu sprechen.
»Hallo, Marcus«, sagte sie.
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