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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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zurückkroch. Als sie zu Simon hinüberschaute, bemerkte sie, wie er im selben Augenblick einen ganzen Haufen seiner Steine über den Rand seines Lochs fegte. Wieder ein Prasseln und dumpfes Aufschlagen, Schreie, Flüche.
    Marcus griff nach einem ziemlich großen Brocken, doch bevor er ihn fallen ließ, warf er einen kurzen Blick hinunter.
    »Sie sind fort«, keuchte er. »Wir haben die Angreifer zurückgeschlagen.«
    Aus dem Durchgang unter ihnen kam kein Laut mehr, aber von draußen, vor dem Fenster, war ein Durcheinander von vier aufgeregten Männerstimmen zu vernehmen, die alle gleichzeitig redeten. Was sie sagten, war nicht zu verstehen, aber Emily konnte unschwer ihren Ärger heraushören.
    Drinnen in der Burg herrschte eine Zeit lang Schweigen. Marcus kauerte immer noch bei dem Gussloch und starrte hinunter. Sein Atem beruhigte sich allmählich. Simon saß auf dem Boden und ließ einen Kiesel von einer Hand in die andere gleiten. Emily lehnte mit dem Rücken an der Säule. Sie hatte das Gefühl, von einer Lawine überrollt worden zu sein. Sie konnte nicht glauben, dass das alles wirklich geschehen war. In ihrem Kopf drehte sich alles – vor Schreck über das, was sich ereignet hatte, und dem noch viel größeren Erschrecken darüber, dass sie selbst unentwirrbar darin verstrickt war.
    Simon stand auf und machte ein paar Schritte zum Fenster. Seine Bewegung rüttelte Emily aus ihrem Zustand auf. »Was... was hast du getan?«, fragte sie. Ihre Stimme war dünn, unsicher, eine Kinderstimme.
    »Halt den Mund. Ich muss hören, was sie sagen.«
    Er stieg über Emilys Füße. Dann war er an dem Fenster, beugte sich weit vor, um trotz der dicken Fensterlaibung seinen Kopf bis nach vorne strecken zu können, und spähte vorsichtig zum Eingang hinunter. Er reckte sich noch weiter vor, dann duckte er sich plötzlich.
    »Hat keinen Sinn«, sagte er. »Die sind nicht blöd, sie sind zum Reden weiter weg. Der Bulle hängt an seinem Funkgerät, ein schlechtes Zeichen. Wartet mal... einer ist weggegangen... ja, der scheint’ne Runde um den Bau zu machen, mal alles angucken. Reibt sich den Arm; muss der sein, den ich erwischt habe. Dein Dad schaut schlimm aus, Marcus... hat’ne Wunde am Kopf; blutet nicht viel, aber war ein direkter Treffer. Super. Er geht mit Harris weg, wahrscheinlich zum Verbandskasten – die sind jetzt erst mal außer Gefecht gesetzt. Harris hat nichts abgekriegt. Der andere ist immer noch da, hängt an seinem Funkgerät... Tja, so schaut das im Augenblick aus!« Simon drehte sich um. »Wir sind umzingelt. Die Verstärkung für die Belagerer ist unterwegs.« Er stieg wieder über Emilys Füße. »Hey, Marcus, wach auf!«
    Auf Marcus’ Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck, übermäßig glücklich wirkte er jedenfalls nicht. Sein Plan mit der Falle hatte funktioniert, aber das schien ihn weniger zu beschäftigen als die ungeheuerliche Tat, die er soeben vollbracht hatte. Mit weißen Fingerknöcheln hielt er immer noch den Stein umklammert, und er starrte immer noch durch das Loch, als ob er erwartete, dass sein Vater jeden Augenblick zurückkommen würde.
    »Hey, du hast’s geschafft«, sagte Simon und stupste ihn mit seinem Stiefel an. »Du hast sie zurückgeschlagen. Du kannst stolz auf dich sein.«
    »Ihr Idioten!«, schrie Emily. »Jetzt sind wir erst richtig dran. Warum habt ihr das gemacht? Sie werden uns umbringen, wenn sie hier reinkommen.«
    » Falls sie hier reinkommen.« Simon schien nicht stillhalten zu können, er wanderte zwischen den Säulen unruhig auf und ab. »Marcus musste mal eine richtige Chance gegen seinen Vater kriegen – habt ihr gehört, wie der hochgebrüllt hat? Wie ein Raubtier. Er war bis aufs Blut gereizt. Ja, das war er. Versteh ich gut, dass Marcus mal zurückschlagen wollte.«
    »Egal. Wie kommen wir jetzt hier raus?«
    »Geht nicht – nicht jetzt. Sie werden alles überwachen, sie werden die ganze Burg umzingeln. Im Moment kommen wir nicht raus. Hey, Marcus – was meinst du?« Wieder ein Stupser mit dem Stiefel, diesmal blinzelte Marcus und schaute hoch. Er wirkte verwirrt.
    »Ich weiß nicht... was sollen wir denn machen?«
    »Ist doch ganz klar«, sagte Simon. »Wir müssen die Burg verteidigen; dachte, du weißt das am besten, Marcus. Du hast uns doch von Herzog Hugh erzählt. Wir verstärken den Türriegel durch ein weiteres Brett. Wir verteilen uns ringsum auf dem Mauerumgang… Wie wollen sie überhaupt die Mauern hochkommen? An einem Seil hochklettern wie wir?

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