Die Eisfestung
wirklich kennst.«
Emilys Augen wurden ganz schmal. »Was meinen Sie damit?«
»Wie lang kennst du Marcus eigentlich schon? Noch gar nicht so lang, oder? Ich finde es großartig, dass du ihm dein Vertrauen schenkst, Katie, und dass du glaubst, was er sagt, aber -«
»Ich glaub ihm nicht nur, was er sagt«, rief Emily, die immer wütender wurde. »Ich hab den Beweis dafür mit eigenen Augen gesehen!« Sie musste an das verquollene Gesicht von Marcus denken.
»Schon gut, Katie... aber hast du auch gemerkt, dass Marcus ein Junge mit einer sehr lebhaften Fantasie ist?«
»Was soll das denn jetzt heißen?« Emily wurde von einer rasenden Wut gepackt. »So eine verdammte Scheiße! Sie können mich mal!« Sie zog ihren Kopf aus der Fensteröffnung und verschwand im Schatten des Zimmers.
»Katie? … Katie?« Die Rufe der Frau hallten zu dem leeren Fenster hoch. »Bist du noch da? Komm bitte wieder ans Fenster! Es tut mir leid, dass ich dich verärgert habe... Katie?... Marcus?« Mehrere Minuten lang ging die Frau noch vor der Mauer auf und ab. Sie rief wieder durch ihr Megafon. Aber es kam keine Antwort. In der Burg war alles still. Schließlich machte sie es aus und ging fort.
Drinnen trat Emily wie wild mit dem Stiefel gegen eine Säule. »So eine absolute Idiotin!«, brüllte sie. »Wie unverschämt und bescheuert darf man eigentlich sein? Sie wird dir kein Wort glauben, Marcus! Sie hat behauptet, dass -«
»Die Polizei, dein Freund und Helfer«, sagte Simon.
»Sie war vom Jugendamt.«
»Alles eins.«
»Was für ein Haufen von Schwachköpfen!« Emily kochte vor Wut. »Ich sag dir eins, Marcus, wenn du jetzt rausgehen würdest, dann wärst du wieder bei deinem Vater, bevor du bis drei gezählt hast.«
Marcus wirkte seltsam still. »Ja... deshalb bin ich auch von zu Hause weg«, sagte er langsam. »Ich wusste, dass die mir nicht helfen würden.«
»Ja, ganz genau. Wie idiotisch von mir, dass ich geglaubt habe man könnte mit denen reden.«
»Nein, war super von dir. Vielen Dank, dass du’s versucht hast, Em.«
»Okay, dann mal weiter...« Simon guckte auf seine Uhr. »Verdammter Mist, erst zehn vor eins. Noch drei Stunden, bis es dunkel wird. Die werden bald was starten, da könnt ihr Gift drauf nehmen. Was ist mit dem Wetter?«
»Wird wieder dunkler draußen. Vielleicht ein neuer Schneesturm.«
»Hoffen wir’s mal. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sie zu beobachten. Mehr können wir nicht tun.«
Draußen schien sich der Gang der Dinge jetzt zu beschleunigen. Vom Fenster der Vorhalle aus konnten sie sehen, wie die Frau mit dem Megafon zur Brücke zurückging, wo sich neben dem Torhaus eine ständig wachsende Menge von Leuten versammelt hatte – Polizisten, Polizistinnen, irgendwelche Männer in dunklen Mänteln. Alle sahen unglaublich verfroren aus, und unter anderen Umständen hätte Emily das Bild ziemlich lustig gefunden, wie sie da dicht aneinandergedrängt im Schnee herumstanden, fast wie Pinguine, die Schultern hochgezogen und die Hände tief in den Taschen vergraben. Mehrere Männer rauchten, die Kippen ließen sie einfach in den Schnee fallen.
Die Frau mit dem Megafon wurde von der wartenden Gruppe verschluckt. Es folgte eine große Beratung. Die Frau sprach zuerst, berichtete wahrscheinlich vom Scheitern ihrer Mission, und als sie geendet hatte, begannen alle, gleichzeitig zu reden, jeder schien einen Vorschlag zu machen, was weiter geschehen sollte. Das Durcheinander wurde immer größer, bis schließlich der Einsatzleiter (Emily vermutete, dass er derjenige war, der durch die Gusslöcher zu ihnen geredet hatte) alle zur Ordnung rief. Nacheinander ließ er sich von mehreren Personen ihre Einschätzung der Lage vortragen – von einem Polizisten, von einem dicken Mann in einem braunen Mantel und von der Frau mit dem Megafon. Sogar Harris, der sich wütend einmischte, durfte kurz etwas sagen. Schließlich nickte der Mann, nahm sein Funkgerät heraus und sprach längere Zeit hinein. Dann gab er an alle eine Anweisung und die Gruppe löste sich auf. Die meisten Polizisten verteilten sich danach rund um die Burg. Bei dem Torhaus blieben nur die Frau mit dem Megafon übrig, Harris, der Einsatzleiter und, fast versteckt unter dem Torbogen, der Vater von Marcus. Er stand etwas entfernt von den anderen, an die Mauer gelehnt, und wirkte sehr niedergeschlagen.
»Es tut sich was da unten«, sagte Marcus aufgeregt. »Was haben die vor?«
»Hey, keine Panik«, sagte Simon. »Sie warten immer
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