Die Eisprinzessin schläft
und Erica war froh, daß sie ein bißchen mehr Mühe auf ihr Aussehen verwendet hatte, bevor sie von zu Hause weggefahren war.
Sie kam in eine mächtige Diele, die allein schon geräumiger als ihre eigene Wohnung daheim in Stockholm war.
»Erica Falck.«
»Henrik Wijkner. Wenn ich mich recht entsinne, sind wir uns im Sommer begegnet. In dieser Gaststätte unten am Ingrid-Bergman-Platz.«
»Im >Cafe Bryggan<. Ja, das stimmt. Scheint eine Ewigkeit her zu sein, daß wir Sommer hatten. Besonders in Anbetracht dieses Wetters.«
Henrik murmelte höflich etwas zur Antwort. Er half ihr, den Mantel auszuziehen, und wies ihr den Weg in einen Salon, der sich an die Diele anschloß. Sie setzte sich vorsichtig auf ein Sofa, das sie mit ihrer sehr begrenzten Kenntnis von Antiquitäten nur als alt und vermutlich sehr wertvoll identifizieren konnte. Henriks Angebot, einen Katfee zu trinken, nahm sie dankend an. Während er sich dem Getränk widmete und sie weitere Ansichten über das schreckliche Wetter austauschten, beobachtete ihn Erica insgeheim und stellte fest, daß er nicht sonderlich betrübt aussah. Sie wußte aber auch, daß das nichts bedeuten mußte. Die Menschen reagierten verschieden, wenn es um Trauer ging.
Er war salopp gekleidet, trug perfekt gebügelte Chinos und ein leuchtend blaues Ralph-Lauren-Hemd. Sein dunkles, fast schwarzes Haar war elegant geschnitten, ohne dabei allzu gekämmt auszusehen. Die Augen waren dunkelbraun und ließen ihn leicht südländisch wirken. Sie selbst bevorzugte Männer mit einem bedeutend ungebändigteren Aussehen, dennoch konnte sie sich der Ausstrahlung dieses Mannes nicht entziehen, der aussah, als sei er einem Modemagazin entstiegen. Henrik und Alex mußten ein auffallend schönes Paar gewesen sein.
»Was für ein wundervolles Haus.«
»Danke. Ich bin die vierte Generation Wijkner, die es bewohnt. Mein Urgroßvater ließ es Anfang des vorigen Jahrhunderts errichten, und seitdem ist es im Besitz unserer Familie. Wenn diese Wände sprechen könnten …« Er ließ die Hand durch den Raum schweifen und lächelte Erica an.
»Ja, es muß wunderbar sein, der Geschichte seiner Familie so nahe zu sein.«
»Sowohl als auch. Man hat auch eine große Verantwortung. In die Fußstapfen der Väter treten und wie es sonst noch heißt.«
Er lachte leicht, und Erica fand, er machte nicht den Eindruck, als würde ihn diese Verantwortung sonderlich belasten. Sie selbst fühlte sich hoffnungslos fehl am Platz in diesem eleganten Zimmer und kämpfte vergeblich damit, eine bequeme Stellung auf dem schönen, aber spartanischen Sofa einzunehmen. Am Ende rutschte sie ganz nach vorn auf die Kante und schlürfte vorsichtig von dem Kaffee, der in kleinen Mokkatassen serviert worden war. Es zuckte in ihrem kleinen Finger, aber sie widerstand der Versuchung. Die Tassen waren wie dafür gemacht, den Finger abzuspreizen, aber sie befürchtete, es könnte eher wie eine Parodie wirken, statt weltgewandt zu erscheinen. Eine Weile rang sie mit sich angesichts des Kuchentellers, der auf dem Tisch stand, aber dann gab sie sich bei einer dicken Napfkuchenscheibe geschlagen. Schätzungsweise wieder zehn rote Punkte.
»Alex liebte dieses Haus.«
Erica hatte überlegt, wie sie sich dem tatsächlichen Anlaß ihres Besuches nähern sollte, und war dankbar, daß Henrik selbst auf Alex zu sprechen kam.
»Wie lange habt ihr hier zusammen gewohnt?«
»Genauso lange, wie wir verheiratet waren, fünfzehn Jahre. Wir haben uns kennengelernt, als wir beide in Paris studierten. Sie Kunstgeschichte, und ich hatte versucht, mir genügend Kenntnisse in der Welt der Wirtschaft anzueignen, um das Familienimperium wenigstens notdürftig führen zu können.«
Erica bezweifelte stark, daß Henrik Wijkner jemals etwas nur notdürftig tat.
»Direkt nach der Hochzeit sind wir nach Schweden zurück und in dieses Haus gezogen. Meine Eltern waren beide tot, und die Villa hatte ein paar Jahre, in denen ich im Ausland war, unbewohnt dagestanden und verfiel langsam, aber Alex fing sofort mit dem Renovieren an. Sie wollte alles perfekt gestalten. Jedes Detail im Haus, jede Tapete, jedes Möbelstück und jeder Teppich sind entweder die ursprünglichen - sie befanden sich also von Anfang an hier und sind originalgetreu restauriert worden -, oder es sind Gegenstände, die Alex gekauft hat. Sie durchstreifte wer weiß wie viele Antiquitätenläden, um genau dieselben Sachen zu finden, die es zu Zeiten meines Urgroßvaters hier gegeben hatte.
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