Die Eisprinzessin schläft
Dabei halfen ihr jede Menge alter Fotografien, und das Ergebnis ist einfach phantastisch. Zur selben Zeit rackerte sie sich ab, um ihre Galerie in Schwung zu bringen, und wie sie das alles geschafft hat, verstehe ich immer noch nicht.«
»Wie war Alex als Person?«
Henrik nahm sich Zeit, um über die Frage nachzudenken.
»Schön, ruhig und Perfektionistin bis in die Fingerspitzen. Wer sie nicht kannte, hielt sie vielleicht für arrogant, aber das lag vor allem daran, daß sie niemanden so leicht an sich heranließ. Alex war eine Person, um die man kämpfen mußte.«
Erica wußte genau, was er meinte. Diese Zurückhaltung, die einen Teil von Alex’ Anziehungskraft ausmachte, hatte ihr schon in der Kindheit den Ruf eingebracht, eingebildet zu sein, meist sagten das dieselben Mädchen, die sich später fast darum prügelten, neben ihr sitzen zu dürfen.
»Wie meinst du das?« Sie wollte hören, wie Henrik die Sache beschrieb.
Der schaute aus dem Fenster, und zum erstenmal, seit Erica das Wijknersche Haus betreten hatte, glaubte sie, hinter Henriks faszinierendem Äußeren ein Gefühl zu bemerken.
»Sie ging immer ihren eigenen Weg. Sie nahm keine Rücksicht auf andere Menschen. Nicht aus Bösartigkeit, es gab nichts Derartiges an Alex, sondern aus reiner Notwendigkeit. Das wichtigste für meine Frau war, nicht verletzt zu werden. Alles andere, alle anderen Gefühle mußten dahinter zurückstehen. Aber das Problem ist, wenn du aus Angst davor, jemand könnte dein Feind sein, niemanden hinter deine Mauern läßt, dann schließt du auch deine Freunde aus.« Er verstummte. Dann sah er sie an. »Sie hat von dir gesprochen.«
Erica konnte ihre Verwunderung nicht verbergen. Aufgrund der Art, wie ihre Freundschaft geendet hatte, war sie überzeugt gewesen, Alex habe ihr den Rücken zugekehrt und nie wieder an sie gedacht.
»An eine Sache erinnere ich mich noch besonders gut. Sie hat gesagt, daß du ihre letzte richtige Freundin gewesen bist. >Die letzte saubere Freundschaft.< Genauso hat sie es ausgedrückt. Eine etwas merkwürdige Weise, so etwas zu beschreiben, fand ich damals, aber mehr hat sie dazu nicht gesagt, und zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon gelernt, daß es das beste war, nicht zu fragen. Nur wegen dieser Worte erzähle ich dir Dinge von Alex, die niemand sonst erfahren hat. Irgend etwas sagt mir, daß du trotz der vielen Jahre, die seitdem vergangen sind, noch immer einen besonderen Platz im Herzen meiner Frau eingenommen hast.«
»Du hast sie geliebt?«
»Mehr als alles andere. Alexandra war mein Leben. Alles, was ich getan habe, alles, was ich gesagt habe, kreiste um sie. Ironischerweise hat sie es nie bemerkt. Wenn sie mich nur zu sich hineingelassen hätte, wäre sie heute nicht tot. Die Antwort lag die ganze Zeit direkt vor ihrer Nase, aber sie wagte nicht, danach zu suchen. Feigheit und Mut vermischten sich bei meiner Frau auf merkwürdige Weise.«
»Birgit und Karl-Erik glauben nicht, daß sie sich das Leben genommen hat.«
»Ja, ich weiß. Sie betrachten es als selbstverständlich, daß ich genauso denke, aber, um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich habe über fünfzehn Jahre mit ihr zusammen gelebt, aber ich habe sie nicht gekannt.«
Seine Stimme klang noch immer trocken und sachlich. Nach dem Ton zu urteilen, hätte das, was er äußerte, ebensogut ein Kommentar zum Wetter sein können, aber Erica begriff, daß ihr erster Eindruck von Henrik nicht hätte falscher sein können. Das Maß seiner Trauer war gewaltig. Sie war nur nicht offen zu besichtigen wie bei Birgit und Karl-Erik Carlgren. Vielleicht aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen verstand Erica instinktiv, daß es hier nicht nur um die Trauer über den Tod der Ehefrau ging, sondern darum, für immer die Möglichkeit verloren zu haben, von ihr genauso geliebt zu werden, wie er sie geliebt hatte. Das war ein Gefühl, das Erica mehr als nur akzeptieren konnte.
»Wovor hat sie Angst gehabt?«
»Das ist eine Frage, die ich mir tausendmal gestellt habe. Ich weiß es wirklich nicht. Sobald ich mit ihr reden wollte, verschloß sie sich sofort, und es gelang mir niemals, zu ihr vorzudringen. Es war, als würde sie an einem Geheimnis tragen, daß sie mit niemandem teilen konnte. Klingt das seltsam? Aber da ich also nicht weiß, was sie mit sich herumgeschleppt hat, kann ich auch nicht darauf antworten, ob sie fähig gewesen ist, sich das Leben zu nehmen.«
»Wie war ihr Verhältnis zu den Eltern und der
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