Die Eistoten: Thriller (German Edition)
ihr setzt sich unsere eigentliche Welt zusammen. Wir sind Sprachwesen, und Wittgenstein hat sehr wohl erkannt, dass viele unserer Probleme aufgrund fataler Denkfehler entstanden sind. Für die Konzeption des Romans konzentrierte ich mich absichtlich nicht auf die Philosophie Wittgensteins. Die Versuchung für Philosophen ist sonst viel zu groß, in den Ton einer Abhandlung zu verfallen. So ist Wittgenstein in meinem Roman zwar Wittgenstein, aber er ist es auch nicht. Zumindest ist es ein Wittgenstein, den wir nicht kennen. Zum Teil habe ich ihm eigene Zitate in den Mund gelegt. Zum Teil habe ich ihm aber auch Thesen und Ideen zugeschrieben, die er niemals gesagt hat und wahrscheinlich auch niemals gesagt hätte. Wenn es darum ging, philosophisch genau zu arbeiten oder spannend zu erzählen, habe ich mich immer auf die Seite der Spannung geschlagen. Auch für die hochinteressante Biografie Wittgensteins blieb wenig Platz. Das hätte den Rahmen des Romans gesprengt und ihn langatmig werden lassen. Es blieb aber ein Wittgenstein, wie ich ihn mir vorstelle: schwermütig, reizbar, launisch, mit abgetragenen Klamotten und schlecht gekämmt.
Sie sind in Memmingen im Allgäu geboren. Ihr Roman ist ja kein Regionalkrimi, aber wie viel Heimat ist in die Figuren eingeflossen?
Ja, ich bin in Memmingen im Allgäu geboren. Ein Regionalkrimi ist der Roman dennoch nicht. Die Erfolge des Autorenduos Kobr/Klüpfel haben die Memminger Literaturszene richtig bekannt gemacht. Ich habe mich gewundert, wie viele Autoren aus Memmingen kommen. Doch trotz dieser Welle habe ich keinen Regionalkrimi geschrieben. Die Geschichte spielt sich in einem fiktiven Dorf in den Allgäuer Alpen ab. Ich wählte dasAllgäu, weil ich mich dort ganz gut auskenne. Auf Hintereck kam ich auf dem Rückweg einer Bergwanderung. Es war schon fast Nacht, und wir fuhren durch ein Dorf, von dem ich mir dachte: Das könnte die Kulisse eines düsteren Romans sein.
Natürlich fließt immer ein Stück Heimat in die Figuren mit ein. Ich bin dort aufgewachsen. Menschen und Landschaft haben mich sicherlich geprägt – im Guten wie im Schlechten. So ist das.
Dennoch möchte ich mich nicht regional festlegen. Ich kenne mich mindestens genauso gut in Paris aus wie im Allgäu. Meine Pariser Zeit war sehr intensiv, so dass Paris auch meine Heimat ist. Wer weiß, wie sich dies im Schreiben ausdrückt.
Planen Sie weitere Romane mit Alice?
Natürlich. Alice ist keine Figur, die man einfach in einem Roman abhandeln kann. Ich habe den Roman mit Alice als Folgeroman angelegt. Ich wollte eine Figur haben, die wie ich selbst einen gewissen Erkenntnisweg gehen muss. Alice hat das Talent, in düstere Ecken zu blicken, dorthin, wo sonst keiner hinschaut. Das habe ich mit ihr gemeinsam. Ich habe vor, jedes Jahr ungefähr zwei Romane zu schreiben. Einen mit Alice und einen anderen Krimi oder Thriller. Dies verhindert einen gewissen Schreibtrott, in den sonst viele Serienschriftsteller verfallen.
Die Fragen stellte Reinhard Rohn
Nachwort
Das Dorf Hintereck gibt es nicht. Ich habe es wie all die anderen Personen und Örtlichkeiten frei erfunden. Hindelang und Sonthofen, die ich in der Nähe von Hintereck ansiedelte, existieren natürlich, genauso wie das Allgäu. Hintereck hätte ich auch in einer anderen Bergregion spielen lassen können. Ich wählte das Allgäu, weil ich in dieser Region aufgewachsen bin und ich mich trotz meiner langen Aufenthalte im Ausland mit der Landschaft und den Leuten dort verbunden fühle.
Das Schöne an der Fiktion ist, dass sie von einer Realität erzählt, die sich überall und nirgends abspielen kann. Jeder Leser kann sein Hintereck für sich entdecken. Es kann das Nachbardorf sein, ein Ort, von dem man geträumt hat, oder ein Ort, durch den man eines Nachts in den Bergen gefahren ist und man still hoffte, dass einem der Wagen dort nicht liegenbleibt. Lokalkrimi-Leser, die neben dem Lesen auch noch die fiktiven Tatorte aufsuchen, werden im Falle Hintereck nicht fündig werden. Tun sie es doch, so war dies von mir nicht beabsichtigt und rein zufällig. Gleiches gilt für Personen, die in dem Roman auftauchen.
Nur Ludwig Wittgenstein mag mir verzeihen, dass ich ihm Sätze in den Mund gelegt hatte, die er so nie gesagt hatte. Dies geschah in bester künstlerischer Absicht.
Ludwig Wittgenstein ist keine erfundene Romanfigur. Es gibt einige sehr gute Biographien über das Leben des PhilosophenWittgenstein und weitaus mehr Schriften über sein
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