Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
Verbindung zu jener Sphäre herstellen, welche die Quelle dieser Erscheinungen sein muss. Aber wenn du nicht einmal die dunkle Magie wahrgenommen hast…«
»Es tut mir leid.«
»Das braucht es nicht, Sohn«, erwiderte Keandir mit einem versöhnlichen Lächeln.
»Allerdings habe ich eine Vermutung, was diese Kreatur angelockt haben könnte.«
»So?«, fragte Keandir verwundert.
Andir trat auf seinen Vater zu. Die Blicke beider Männer begegneten sich, und noch ehe sein Sohn auch nur ein einziges Wort darüber hervorbringen konnte, ahnte Keandir bereits, was er zu sagen beabsichtigte.
»Es sind die Zauberstäbe«, sagte Andir. »Ihr haltet sie noch immer in den Katakomben von Burg Elbenhaven verschlossen.
Ihr wisst, dass sie meinen Bruder Magolas bereits vor langer Zeit in ihren Bann geschlagen haben und er von ihnen magisch angezogen wird. Warum sollte das nicht auch bei anderen Wesen der Fall sein – bei Wesen, die ebenso von der Finsternis durchdrungen sind wie er.«
»Oder wie ich«, gab Keandir zu bedenken. Die Worte Andirs waren für den Elbenkönig wie ein Faustschlag gewesen. Aber je länger er darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihm, was sein Sohn gesagt hatte. »Was soll ich tun?«, fragte er.
»Nehmt die Zauberstäbe an Euch, bringt sie weg und vergrabt sie irgendwo in der Wildnis. Wählt eine verwunschene Höhle in Hoch-Elbiana, einen Ort, den niemand kennt und wo sie niemand finden wird.«
»Und du glaubst, dass der Axtkrieger dann nicht wiederkehren wird?«
»Ich weiß es nicht, Vater. Aber die Möglichkeit besteht, dass er dann nicht mehr von ihrer Magie angezogen wird.«
Das Gesicht König Keandirs verfinsterte sich. »Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken«, sagte er.
»Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Wartet nicht zu lange damit, die Stäbe von hier wegzubringen. Jedes Zögern vergrößert die Gefahr.«
»Aber die Gefahr wäre vielleicht ebenso groß, würden diese Stäbe in falsche Hände geraten«, gab Keandir zu bedenken.
Und dabei fiel ihm seltsamerweise zuallererst der Name seines zweiten Sohnes ein – Magolas!
In den folgenden Nächten schlief Keandir sehr unruhig.
Immer wieder träumte er von der sechsfingrigen Hand, wie sie nach den Elbensteinen griff. Er wachte jedes Mal mitten in der Nacht auf und fand dann keinen Schlaf mehr. Für seine Gemahlin Ruwen war dies zunehmend Grund zur Sorge.
Sie hatte gehofft, dass sich nach mittlerweile mehr als einem Jahrhundert die Folgen der Schlacht an der Aratanischen Mauer bei dem Elbenkönig allmählich verflüchtigen würden.
Stattdessen wurde es auf einmal immer schlimmer, und Ruwen begann sich zu fragen, ob es sich bei den Albträumen ihres Gemahls tatsächlich nur um Nachwirkungen dieses Ereignisses handelte.
König Keandir hatte es sich angewöhnt, die große Bibliothek im Obergeschoss des Palas aufzusuchen, wenn er aus seinem Albtraum aufgeschreckt war. Dort versuchte er sich mit der Lektüre einiger erbaulicher Texte die Stunden bis zum Sonnenaufgang zu vertreiben. Manchmal fand ihn Ruwen dann in einer Art innerer Versenkung, die ihm zumindest einen Teil seines Friedens zurückgab.
»Da geschieht etwas, das wir noch nicht wirklich begriffen haben«, sagte Keandir eines Nachts, als Ruwen ihn einmal mehr in der Bibliothek vorfand. »Eine Macht greift nach Elbenhaven, von der kaum jemand ahnt, dass sie überhaupt existiert.«
»Von was für einer Macht sprichst du, geliebter Kean?«, fragte Ruwen, die neben ihm Platz nahm und seine Hand ergriff, die auf der Sessellehne ruhte.
»Sie ist sehr alt. Und sehr böse«, murmelte Keandir und sprach mehr mit sich selbst als zu seiner Gemahlin. »Und ich bin ihr bereits in anderer Erscheinungsform begegnet.«
»Ihr sprecht in kryptischen Worten, mein König«, antwortete Ruwen leicht irritiert und wechselte dabei von der selbst unter elbischen Eheleuten unüblichen vertrauten Anrede in die Höflichkeitsform der elbischen Sprache. Sie hatte das Gefühl, dass Keandir in diesem Moment, obgleich sie seine Hand hielt, geistig weit von ihr entfernt war. Eine unsichtbare Mauer schien ihn zu umgeben. »Hat diese Macht mit der Finsternis zu tun, die manchmal Eure Augen und Eure Seele erfüllt?«
Aber ihre Frage blieb unbeantwortet…
Ein paar Nächte später erwachte Keandir erneut. Doch diesmal hatte ihn ein anderer Traum heimgesucht, und der war noch wirrer und quälender gewesen als der von der sechsfingrigen Hand. Die Zauberstäbe des Augenlosen Sehers hatten darin
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