Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
vom Klang seiner Stimme vernahm Keandir keinen Laut.
»Magolas!«, sagte Keandir, den es einerseits erleichterte, dass er doch nicht allein war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Andererseits beunruhigte es ihn, dass auch sein Sohn offenbar vom selben Fluch befallen war wie er selbst.
»Ich bin froh, dich zu sehen, mein Sohn – auch wenn ich, ehrlich gesagt, keine Erklärung habe für das, was hier geschieht.«
»Man könnte fast meinen, der Burghof wäre mit Watte ausgelegt, und die würde die Geräusche meiner Schritte schlucken«, stellte Magolas fest.
Keandir nickte. »Du sagst es. Wie ist es dir sonst ergangen, Magolas?«
»Ich erwachte aus einem unruhigen, fiebrigen Traum und fand mich vollkommen allein in den Mauern dieser Burg wieder«, erklärte der Königssohn. »Doch dann sah ich Euch auf dem Wehrgang stehen und…« Er verstummte und hob in einer ratlosen Geste die Schultern.
»Was geschieht mit uns, Magolas?«, fragte Keandir. Er fasste seinen Sohn bei den Schultern, so als müsste er sich erst der Tatsache versichern, dass er ihm tatsächlich gegenüberstand.
»Du weißt mehr über Magie als ich. Hast du irgendeine Erklärung für die grotesken Veränderungen, die wir erleben?«
»Wir scheinen in eine Art Albtraumsphäre versetzt worden zu sein«, murmelte Magolas nachdenklich und bestätigte damit des Königs Vermutung. »Doch eine Erklärung dafür kann ich Euch nicht liefern.«
Keandir streckte den Arm aus und deutete in Richtung der herannahenden Axtkrieger. »Hat es mit diesen Geschöpfen der Nacht zu tun?«
»Gewiss«, antwortete Magolas. Er trat an die Zinnen, seine Augen verengten sich, und auf einmal wurden sie von vollkommener Dunkelheit erfüllt, sodass das Weiße darin nicht mehr zu sehen war. Er wandte den Kopf, schaute seinen Vater an, und auch Keandirs Augen waren auf einmal vollkommen schwarz. Doch keiner der beiden Männer verlor darüber ein Wort.
Vielleicht, so dachte der König der Elben, würden sie die finsteren Kräfte, die in ihren Seelen schlummerten, nun brauchen, um sich dieser fremdartigen Schattenkreaturen erwehren zu können. Feuer bekämpfte man mit Feuer, warum nicht auch Finsternis mit Finsternis?
In diesem Moment herrschte ein stummes Einvernehmen und ein Gefühl der Gemeinsamkeit zwischen Keandir und seinem Sohn, dessen Werdegang er bis dahin immer mit einer Mischung aus Argwohn und Sorge betrachtet hatte. Sie teilten den gleichen dunklen Seelenkern – und vielleicht war dessen Existenz auch der eigentliche Grund dafür, dass offenbar nur sie beide in dieser Albtraumwelt gefangen waren. Sie und die Axtkrieger.
»Es ist, als habe diese seltsame Schattenwelt die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, vollständig verdrängt oder überlagert«, sagte Magolas. »Ja, so muss es sein: Eine Sphäre überlagert eine andere, sodass wir uns in einer Zwischenwelt befinden. Die Burg, das Land darum herum – das ist die Realität. Und trotzdem ist es nicht unsere Wirklichkeit, die wir erleben.«
»Das heißt, all die anderen Elben dieser Stadt sind für uns unsichtbar geworden?«, fragte Keandir.
Magolas nickte. »Sie sind noch da, Vater, aber unerreichbar getrennt von uns durch die unsichtbare Grenze dieser tauben Sphäre, in der abgesehen von den Axtkriegern nur wir beide existieren.« Magolas machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr:
»Als ich dem Axtkrieger zum ersten Mal begegnete, bewegte ich mich in beiden Sphären gleichzeitig, doch diesmal ist es anders. Die Magie der Axtkrieger scheint beim ersten Versuch nicht stark genug gewesen zu sein, um unsere Wirklichkeit vollständig zu verdrängen.«
»Wie kann das möglich sein?«, fragte der Elbenkönig.
Wieder ein hilfloses Schulterzucken. »Es kann eine Art Zeitmagie sein. Ja, vielleicht steht die Zeit für alle anderen still, und wir beide – und diese Axtkrieger – bewegen uns in einer zeitlosen Zwischensphäre, in der sterbliche Wesen, zu denen wir Elben ja auch gehören, normalerweise nicht existieren können.«
»Aber wir existieren hier!«, widersprach Keandir.
»Weil wir in dieser Zwischensphäre gefangen sind, Vater«, vermutete Magolas. »Das wäre die Erklärung dafür, warum nichts zu hören ist, denn selbst Schall ist nichts weiter als in Schwingung versetzte Luft; wird die Zeit angehalten, kann sich der Schall nicht ausbreiten, und wir sind dann wie taub.«
»Aber ich höre deine Stimme«, sagte Keandir. »Und den Hufschlag der Reiter.«
»Ja, Vater, ja«, sagte Magolas. »Auch
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