Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
»Jirantor«, war inzwischen zum Admiral der Flotte Elbianas erhoben worden. Er legte dem König seine Pläne zu einem künftigen Flottenausbau vor und erläuterte sie in gestelzten Worten, als der Königssohn in die Unterredung platzte und seinen Vater zu einem Gespräch unter vier Augen aufforderte. Keandir war zunächst ebenso irritiert wie die versammelte Führung der Elbenflotte. Aber der König spürte rasch, wie ernst es seinem Sohn war. Es musste etwas wirklich Gravierendes vorgefallen sein.
»Ich würde Euch nicht damit bedrängen, Vater, wenn diese Sache Aufschub duldete«, erklärte er.
Keandir nickte und ging mit seinem Sohn in ein angrenzendes Gemach, und dort berichtete Magolas dem König eingehend, was ihm widerfahren war. Dieser runzelte die Stirn.
»Ein Reiter mit einer sechsfingerigen Hand?«, murmelte er.
»Er war nicht zufällig von gnomenhaftem Wuchs wie der Augenlose Seher?«
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Magolas. »Unter der Kutte muss sich eine mächtige Gestalt verborgen haben. Und der Reiter schwang zudem die riesige Axt, als hätte sie keinerlei Gewicht.«
»Der Augenlose Seher sprach davon, dass er einst dem Volk der Sechs Finger angehörte. Vielleicht haben sich diese Kreaturen von niedrigem Wuchs weiterentwickelt – oder der Körper des Augenlosen selbst war durch sein ungeheures Alter bereits deformiert und entstellt, sodass man ihn nicht als repräsentativ für sein Volk ansehen kann.« Keandir zuckte mit den Schultern. »Xaror, der Bruder des Augenlosen Sehers, soll noch lange Zeit über das Zwischenland geherrscht haben. Aber nie fanden wir bisher Spuren dieses Reiches, geschweige denn Hinweise auf Xaror selbst. Vielleicht ist das Auftauchen dieses Reiters der erste Hinweis…«
»So haltet Ihr den Axtkrieger für eine reale Erscheinung, Vater?«
Keandir musterte seinen Sohn eindringlich und zog die Augenbrauen zusammen, sodass sich auf seiner Stirn eine Falte bildete. »Du etwa nicht, mein Sohn?«
»Ich bin mir nicht sicher. Er könnte ein Trugbild gewesen sein.«
»Oder eine Sphäre, die von unserer Existenzebene durch Zeit, Raum oder beides getrennt ist, überlagerte sich mit unserer Wirklichkeit«, überlegte Keandir laut.
Magolas nickte. Daran hatte er auch schon gedacht. Drei solcher normalerweise nur geistig erreichbaren Sphären kannten die Elben: Eldrana, das Reich der Jenseitigen Verklärung, in dem die Seelen der Toten ihrer Vergeistigung entgegengingen; Maldrana, das Reich der Verblassenden Schatten, in dem die Seelen jener Toten vor sich hindämmerten, derer man sich nicht mehr erinnerte oder erinnern wollte; und zu guter Letzt die Sphäre, in der die Namenlosen Götter ihre ätherische Existenz fristeten, abgewandt von denen, die über Zeitalter hinweg zu ihnen gebetet und ihre Hilfe erfleht hatten. Die theoretische Möglichkeit, dass es noch mehr Sphären dieser Art gab, wurde von der Mehrheit der elbischen Schamanen, Schriftgelehrten und Magier nicht bestritten. Allerdings gab es keinen überlieferten Fall, in dem es einem Elben gelungen wäre, zu einer vierten oder fünften Sphäre eine geistige Verbindung aufzunehmen.
»Leider haben unsere Schamanen die Fähigkeit verloren, die Bewohner der drei Sphären zu rufen«, stellte Magolas mit tiefempfundenem Bedauern fest. »Es war die Interesselosigkeit der Sphärenbewohner am Schicksal der Elbenheit, die sie dazu bewog, diese Versuche endgültig aufzugeben.«
»Nicht zu vergessen die Furcht vor weiterem Versagen«, ergänzte der König. Er teilte das Bedauern seines Sohnes. »Der Letzte, der es versuchte, war unser ehemaliger Oberster Schamane Brass Elimbor. Und er starb nach seinem letzten Versuch, und mit ihm leider auch vieles von dem praktischen Wissen, das nötig ist, um die Sphären zu erreichen.«
»Wenn dieser Reiter aus einer geistigen Sphäre kam, dann ganz gewiss aus keiner, die wir kennen«, war Magolas überzeugt, »sondern aus einer, in der die Magie Naranduins sehr mächtig ist. Könnt Ihr Euch keinen Reim darauf machen, was diese Erscheinung zu bedeuten hat? Ich bitte Euch, denkt intensiv darüber nach, denn ich bin mir sicher, dass dieser Axtkrieger zurückkehren wird.«
König Keandir machte ein sehr ernstes Gesicht. Magolas kannte seinen Vater gut genug, um zu erkennen, dass er innerlich mit sich rang. Es schien da etwas zu geben, das er seinem Sohn hätte mitteilen können, aber offenbar überlegte er noch, ob er ihn darin einweihen solle oder nicht.
»Sagt es mir ruhig, Vater.
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