Die Elefanten Hannibals
trojanischen Königssohnes Hektor, ein rührendes Frauenbild geschaffen, der griechische Tragödienschreiber Sophokles hatte in Antigones Gestalt der Güte und selbstlosen Hilfsbereitschaft ein unsterbliches Denkmal gesetzt.
„Und ich?" Gnaeus Naevius seufzte. „Ich habe keine Andromache, keine Antigone gefunden. In meinem Poem schildere ich nur Feldherren und Krieger. Was ich über sie schrieb, ist die Wahrheit, denn ich sah sie im Feldlager, vor dem Kampf und auf dem Schlachtfeld. Ich zog mit dem Heer des Fabius, den man ,Schäfchen' und ,Zauderer' nannte, durch halb Italien. Ich kleidete die Feuerbrände der von Karthagern angezündeten Dörfer und Städte in ergreifende Worte. Aus meinem Gesang, den ich ,Capua' nannte, klingen die Begrüßungsrufe der Städter bei Han-nibals Einzug und die Jammerschreie der Männer, die in die Sklaverei geführt wurden. Unbestechlich wie ein Bronzespiegel gibt mein Poem den Gang der Ereignisse und den vielfältigen Ablauf der Menschenschicksale wieder.
Doch jetzt, da ich die Welt nur noch vom Krankenlager aus, nur durch ein schmales Tor zu betrachten vermag, habe ich erkannt, was meinem Poem fehlte. Es wird nicht erhellt vom sanften Licht weiblicher Liebe. Und sollten die Götter mir wider Erwarten noch einmal die Gesundheit zurückgeben, dann will ich über Sophonisbe schreiben. Vermutlich werden mir die Meteller dann Mangel an Patriotismus vorwerfen und mich aufs neue in den Kerker stecken. ,Unerhört!' werden sie schimpfen. ,Der Römer Gnaeus Naevius schreibt über eine Karthagerin, als gäbe es bei uns nicht genügend trauernde Witwen und Waisen!'
Doch früher oder später wird das römische Volk mein Werk würdigen und erkennen, daß Sophonisbes Leid den Schicksalen aller Liebenden und Geliebten, aller menschlichen Sandkörnchen gleicht, die zwischen den Mühlsteinen des Krieges zerrieben werden.
Vielleicht wird dann ein junger Krieger, erschüttert von meinen Versen, sich nicht auf die Aufforderung des Ausrufers melden, wie einstmals der junge Publius, sondern auf den Marktplatz rennen und sagen:
,Die Götter gaben uns Leben und Verstand nicht zu dem Zweck, um uns gegenseitig umzubringen, nicht zu dem Zweck, um Liebende zu trennen! Wir sind keine Sklaven, an das Mühlrad des Schicksals geschmiedet. Wir sind frei wie der Wind!'"
Gnaeus Naevius stöhnte vor Verzweiflung, weil ihm die Kräfte fehlten, diese allzu späte Erkenntnis auf seiner Wachstafel festzuhalten. Er tastete nach dem Griffel, der auf den Marmorfußboden gefallen war. Aber er vermochte ihn nicht mehr aufzuheben.
Liebe Leser, Marseille hieß zu Hannibals Zeit, das war vor ungefähr 2180 Jahren, Massilia, und der Fluß Ebro hieß Iberus. Wir haben, damit Euch die vielen fremden Begriffe nicht verwirren und damit Ihr Euch besser orientieren könnt, für die bekanntesten Flüsse, Städte und Gebirge die heute üblichen Namen gesetzt.
Worterklärungen
Amulett - Kleiner Gegenstand, dem die Menschen unheilabwendende Kräfte nachsagten
Barbar - hier: Ungebildeter, Rohling
Diadem - Kopf- oder Stirnbinde, meist aus Edelmetall; Schmuck der Frauen
Forum - so hieß der Marktplatz in römischen Städten
Legion - große Einheit des römischen Heeres; etwa unserer Division entsprechend
Paß - hier: Gebirgsübergang
Pferch - umzäunte Fläche für Tierherden
Sesterze - altrömische Silbermünze
Talent - hier: altgriechische Währungseinheit
Tribut - hier: Zwangsabgaben von unterworfenen Völkern und Stämmen
Toga - altrömisches Obergewand
Zenturie - römische Soldatenabteilung von hundert Mann; der Hundertschaftsführer hieß Zenturio
Zikade - Singzirpe; kleines Insekt
Zyklop - einäugiger Riese aus der griechischen Sage
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