Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
Hörner schwangen sich über ihren Kopf hinweg dem Rücken entgegen. Sie strahlte Macht aus. Ihr Gesicht war bemalt wie das ihrer Priesterin. »Hast du Angst vor den Menschen dort draußen?«
»Ich weiß, dass meine Priesterin heute sterben wird. Meine eigene Zukunft kenne ich nicht. Ich bin frei von Angst, denn ich bin mit meinem Leben im Reinen. Kennst du dieses Gefühl, Emerelle?«
Sie verschloss sich vor dieser Frage. »Du musst mir keine Antwort ins Gesicht stechen. Du weißt, im Gegensatz zu den Menschenkindern habe ich die Macht, sie zu löschen.« »Es geht um den Schmerz, der mit der Wahrheit einhergeht. Der körperliche Schmerz ist nur die Vorbereitung für den Seelenschmerz, den sie stets bereitet. Kannst du auch diesen Schmerz heilen?«
»Manche sagen, meine Seele sei tot und ich hätte tausend Gesichter.«
»Wir beide wissen, was du Ungeheuerliches in dir trägst. Und ich weiß, welche Frage du mir stellen wirst, obwohl du mir eine ganz andere stellen solltest. Und ich weiß auch, warum du diese Frage stellen wirst. Das genügt mir als Beweis, dass deine Seele nicht tot sein kann. Nun schließe deine Augen und frage!«
Emerelle gehorchte ihr. Sie atmete tief ein und lauschte noch einmal in sich hinein. Sie wusste, was Samur gemeint hatte. Aber sie konnte nicht anders, als jene Frage zu stellen, die sie vielleicht zu Ollowain führen würde. »Wenn einer der Alben in unserer Heimat verblieben wäre, wo müsste ich ihn suchen?«
Ein Stich drang in ihre Wange. Es brannte. Die Elfe spürte, wie ihr Tinte unter die Haut drang. Ein zweiter Stich … Und dann in schneller Abfolge Hunderte. Sie verschloss sich gegen den Schmerz. Reiste in Gedanken an jene Orte, an denen sie glücklich gewesen war. Sie entfloh. Ihre Gedanken waren ein Kaleidoskop des Glücks. »Emerelle!«
Mit der Stimme kam der Schmerz zurück. Er überfiel sie mit solcher Heftigkeit, dass ihr übel wurde. Über ihr schwebte Samur. Deutlich sah die Elfe die Handschuhe der Gazala. Die Fingerspitzen waren besetzt mit feinen Nadeln. Manchmal nur eine einzelne. Öfter waren es ganze Gruppen. »Du warst sehr weit fort.«
Emerelle nickte. Ihre Wangen schienen in Flammen zu stehen.
»Du solltest dich beeilen, zu deinen Gefährten zu kommen. Flieh auf die andere Seite der Insel. Dort gibt es ein kleines Fischerdorf. Ihr werdet Boote finden.«
»Und du?«
Die Gazala streckte sich in ihren Gurten. »Ich werde mich in mein Versteck zurückziehen und hoffen, dass sie mich nicht finden werden. Sie werden meine Dienerin töten. Sie will nicht fortgehen, obwohl sie es weiß.«
Die Elfe dachte daran, dass Orakel niemals ihren eigenen Tod sehen konnten, und fragte sich, ob die Gazala sich etwas vormachte. »Du könntest mit uns nach Albenmark kommen.«
Samur lächelte. »So lange habe ich mich danach gesehnt. Aber jetzt ist meine Schwester tot. Ich habe mein Band zu unserer Welt verloren.
Ich werde hierbleiben.«
»Du weißt, warum ich dich verbannt habe?«
Sie glitt einige Handbreit nach oben. »Ich weiß, dass ich dir Ärger bereitet habe. Es würde wieder geschehen, wenn ich in Albenmark wäre. Ich bin ein Orakel. Ich sage immer die Wahrheit.« Mit diesen Worten glitt sie ins tiefe Dunkel unter der Höhlendecke.
Emerelle eilte hinauf zum Becken und wusch sich das Gesicht. Sie versuchte zu lesen, was in ihrem Angesicht stand, aber sie konnte die Schrift nur undeutlich erkennen. Ungeduldig lief sie zum Eingang der Höhle. Die Priesterin stand dort bei Falrach und blickte hinaus auf das Meer. Der ungleiche Kampf hatte begonnen.
Eine Flammensäule schoss fast waagerecht aus dem Bug eines der iskendrischen Schiffe. Sie verfehlte knapp die Galeere mit den Purpursegeln. Dafür setzte sie das Wasser in Brand.
»Das muss destilliertes Steinöl sein«, sagte Falrach sachlich. »Es ist mit Wasser nicht zu löschen. Ich glaube, sie haben die Bucht verlassen, weil Flut ist. Wenn die Isken-drier dieses Öl ins Wasser gegossen hätten, wäre es vom Meer in die Bucht getrieben worden. Sie hätten die ganze Flotte verbrennen können, ohne dass es auch nur zu einem Kampf gekommen wäre.« »Was steht in meinem Gesicht?«
Falrach drehte sich um. Sie sah ihm sein Entsetzen an. »Was steht dort?«
»Du siehst fürchterlich aus. Wie konnte sie das tun! Wie sehr sie dich hassen muss.« »Was …«
Er legte ihr die Hand auf den Mund. Dann zog er sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Ich liebe dich«, sagte er sanft. »Wirf dein Leben nicht leichtfertig
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