Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
Ihre Stimme klang dunkel. Gar nicht weiblich. »Folge mir.« Er atmete tief ein. Der Rauch aus dem Becken machte ihn ein wenig schwindelig. Sie wusste, wer er war. Was er war! War sie doch das Orakel?
Sie führte ihn in einen Winkel der Höhle, in dem nur eine verlorene Öllampe brannte. Dort war ein Becken. Das Wasser war wie ein schwarzer Spiegel. »Sieh dich an!«, befahl sie.
Er musste auf einen Stein klettern, um in das flache Becken blicken zu können. »Wasche dein Gesicht und streich dir das Haar aus der Stirn. So ein kleines Gesicht. So wenig Platz …«
Nikodemus gehorchte. Das Wasser war kühl. Er hatte die Worte der Orakelpriesterin nicht richtig verstanden. Hatte sie gesagt: so wenig Platz? Kälte stieg seinen Nacken hinauf.
Die seltsame Frau nahm das Licht vom Wasserbecken. »Folge mir!«
Im tiefen Schatten lag ein Abstieg, der weiter in den Berg führte. Hier brannten keine Lichter mehr. Nikodemus strauchelte zweimal. Die Treppenstufen waren unregelmäßig. Jede hatte eine andere Höhe und Breite. Schließlich nahm die Priesterin ihn bei der Hand.
Endlich erreichten sie halbwegs ebenen Boden. Die Dunkelheit ringsherum war vollkommen. Die Öllampe schnitt nur einen kleinen Lichtkreis. Vor ihnen auf dem Boden lag ein Kissen. Es roch nach Sandelholz und feuchtem Fels.
»Leg dich hier hin. Verrutsche das Kissen nicht. Schließe deine Augen und öffne si nicht, bis ich dich wieder holen komme.«
»Und das Orakel?«
»Es wird dich berühren, wenn ich gegangen bin.«
Nikodemus spürte sein Herz immer schneller schlagen. Diese Höhle war unheimlich.
Er wollte seine Zukunft gar nicht mehr wissen! Und was sollte das schon wieder heißen? Das Orakel wird mich berühren!
»Leg dich hin«, sagte die Priesterin sanft.
Er gehorchte.
Sie bettete seinen Kopf auf das Kissen. Es war hart, als sei es mit Kernen gefüllt. Dunkle Flecken waren darauf. Trocknes Blut?
»Beruhige dich. Du darfst die Augen nicht öffnen, ganz gleich, was auch geschieht.
Hast du das verstanden, kleiner Mann? Öffne nicht die Augen! Es könnte dich sonst dein Augenlicht kosten!«
Sie erhob sich.
»Kannst du das Licht hierlassen?«, bettelte er.
»Wenn du die Augen geschlossen hältst, brauchst du kein Licht. Und wenn du sie vor der Zeit öffnest, wirst du nie wieder ein Licht sehen. Lieg ganz still!«
Nikodemus lauschte auf die leiser werdenden Schritte. Er versuchte seinen Atem zu beherrschen, doch es gelang ihm nicht. Er ging keuchend und unregelmäßig. War da ein Geräusch? Über ihm? Ein Gleiten, als rieben geölte Lederbänder aneinander. Ein ähnliches Geräusch machten die breiten Gurte der Hornschildechsen, wenn die Tiere zu wenig Futter bekommen hatten und das Gurtzeug, das die Plattformen auf ihrem Rücken hielt, nachgezogen werden musste. Nikodemus wollte die Augen öffnen. Nein!
Etwas berührte sein Gesicht. Etwas Spitzes! Er spürte Atem auf seinem Antlitz. De Sandelholzduft war stärker geworden. Etwas schwebte über ihm. Da war er sich gan sicher!
»Was will du wissen?«
Die Worte berührten ihn regelrecht, so dicht war die Sprecherin über ihm. Was hatte Emerelle gesagt? Er wollte gar nichts wissen! Er würde am liebsten fortlaufen, aber er hatte zu große Angst. »Also …« Seine Stimme zitterte. Aber wenigstens erinnerte er sich wieder, was Emerelle gefordert hatte. »Was ist mein Schicksal?«
Stille. Ihr Atem strich über sein Gesicht. Wie lange dauerte das? Er wurde imme unruhiger. Plötzlich stach etwas in seine Wange.
»Was …«
»Halt still oder es ist dein Verderben!«
Und dann berührten ihn tausend Nadeln. Sie stachen überall auf sein Gesicht. So schnell, dass er die einzelnen Einstiche nicht mehr voneinander unterscheiden konnte und das Ganze ein einziger, brennender Schmerz war. Blut und Tränen rannen ihm über die zerschundenen Wangen. Er wimmerte, wagte es aber nicht, sich zu bewegen. Die Nadeln stachen auch rund um seine Augen! Der Schmerz wurde immer intensiver. Dann umfing ihn Nacht.
VON DER WAHRHEIT UND SCHMERZEN
Nikodemus ging an der Hand der Priesterin. Er schlurfte kraftlos. Die Frau schob ihn Emerelle entgegen. Sobald die führende Hand losließ, blieb der Lutin stehen. Er hielt die Augen fest zusammengekniffen. Obwohl er sich offensichtlich gerade erst sein Gesicht gewaschen hatte, troff Blut über die helle Haut. Schnörkellose, klare Buchstaben waren ihm ins Gesicht geschrieben. Die Wahrheit. Und sie lautete so, wie Emerelle befürchtet hatte. Sie konnte nicht begreifen,
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