Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
blickte, war er überrascht, wie hoch sie schon gestiegen waren. Etwas schien sich im Dunst am Horizont zu bewegen. Oder bildete er es sich nur ein? Er hielt einen Augenblick inne. Es war nichts deutlich zu erkennen. Aber er hatte das Gefühl, dass sich dort etwas bewegte. Etwas Riesiges, das fast den ganzen Horizont ausfüllte.
Nikodemus zog sich eine weitere Treppenstufe hoch. Es war eine elende Quälerei! Auch wenn er die Gestalt eines Menschenkindes angenommen hatte, war er noch sehr klein. So klein, dass ihn einige Krieger misstrauisch angesehen hatten, weil er laufen konnte und auch sonst zu klein für die Dinge war, die er tat. Er reichte den meisten Menschen gerade einmal bis zum Knie. Ihre Kinder schienen wohl größer zu sein, wenn sie laufen konnten.
Endlich erreichten sie den Eingang einer Höhle. Nikodemus rang nach Luft. Seine Waden brannten. Er hatte Mühe, die Verwandlung aufrechtzuerhalten.
»Du bleibst hier und sorgst dafür, dass uns niemand stört, Falrach. Vielleicht werde ich etwas länger mit Samur brauchen. Gazala sind manchmal etwas eigenwillig.« Nikodemus setzte sich erschöpft hin. Ihm war es recht, eine Pause zu haben. »Du kommst mit!«
Der Lutin schloss die Augen. »Warum? Ich will meine Zukunft nicht kennen. Ich finde, es lebt sich viel freier ohne Orakelsprüche, die einem auf der Seele liegen.« »Dann endet deine Freiheit heute!«
Er traute seinen Ohren nicht. »Was … Du willst mich zwingen?«
»Nein, ich will das nicht. Mir wäre es lieber, wenn du freiwillig mitkämst, einfach, weil ich dich darum bitte. Außerdem könntest du hier draußen im Weg stehen, wenn die Horden der Priesterfürsten die Bucht angreifen. Sieh einmal aufs Meer hinaus.« Nikodemus wandte sich um. Der Horizont war keine klare Linie. Wasser und Himmel gingen nahezu übergangslos ineinander über. Und inmitten dieser ungewissen Grenze bewegten sich kleine Farbflecke. Wie die Schuppen einer riesigen Schlange sprenkelten sie den Horizont. Und dann begriff er, was sich dort bewegte. Er sah Segel! Eine gewaltige Flotte steuerte auf die Insel zu.
Auch Falrach hatte es gesehen. »Ihr beide würdet mich sehr glücklich machen, wenn ihr euch ein wenig beeilen könntet. Ihr habt vielleicht eine halbe Stunde. Wenn ihr länger braucht, werden die Aussichten schlechter, dass das Orakel euch etwas über eine Zukunft erzählt, die noch über die nächsten zwei Stunden hinausgeht.« »Kommst du, Nikodemus?«
Er dachte an all die Menschenkrieger, die er gesehen hatte. Er würde keinen einzigen von ihnen aufhalten können. Und im Zweifelsfall könnte man sich in der Höhle wohl besser verstecken als draußen. Waren Orakel nicht unberührbar?
Emerelle trat in die Höhle, und er folgte ihr. Ein leicht abfallender Weg öffnete sich bald zu einer weiten Höhle. Überall waren kleine Öllämpchen aufgestellt. Sie verbreiteten warmes, gelbes Licht.
Eine junge Frau mit streng nach hinten gekämmtem, leicht geöltem Haar saß inmitten der Höhle vor einer Feuerschale, aus der sich blaugrauer Rauch erhob.
»Du wirst das Orakel fragen, was dein Schicksal ist.« Genau das wollte er nicht. »Kannst du nicht mit ihm reden?«
»Nicht über dich. Samur ist etwas eigenartig. Sie wird nur dir Auskunft über dic geben. Ich werde nicht dabei sein. Aber ich werde sehen, was ich wissen muss, wen du zurückkommst.«
»Warum soll ich …«
»Falrach hält dich für sehr bedeutend. Er bereitet ein Spiel vor, in dem du eine wichtige Figur sein wirst.« »Ein Spiel!« Die beiden waren verrückt! »Das ist doch …«
»Als er das letzte Mal neue Figuren für sein Falrach-Spiel ersonnen hat, ist ein Drachenkönig gestorben. Unterschätze ihn nicht. Es ist seine Art, das Unmögliche wahr werden zu lassen.«
Nikodemus fragte sich, ob Falrach in seinem Spiel auch gesehen hatte, dass er sterben würde.
»Du träumst davon, so berühmt wie dein Bruder zu werden. Du bist auf dem Weg, auch wenn du es nicht ahnst. Falrach vertraut dir. Ich nicht. Und nun geh! Du weißt, wie wenig Zeit uns bleibt.«
So berühmt wie Elija … War das möglich? Er sah hinab zu der Priesterin. Sie schien sie nicht einmal bemerkt zu haben. Unverwandt blickte sie in die Glut der Feuerschale. Er ging hinab. Sie war eine Menschenfrau. Nicht die Gazala! Ihr Gesicht war stark geschminkt. Weiß und dazu blutrote Lippen. Die Auge hatte sie mit Kohle umrandet. Sie sah unheimlich aus.
Erst als er unmittelbar vor ihr stand, hob sie den Kopf.
»Das Kind, das keines ist.«
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