Die Elfen
finstersten Geister der Nacht um Rache angerufen. Mehr und mehr hat sich ihr Geist verwirrt. Man sah sie immer mit einem Bündel Lumpen im Arm, so wie man ein Kind in seinen Armen hält. Wir haben ihr Essen gebracht, Jarl. Wir haben alles versucht… Am ersten Frühlingsmorgen nach der Tagundnachtgleiche haben wir sie tot auf dem Grabhügel deines Großvaters gefunden. Sie starb mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir haben sie noch am selben Tag im Hügel bestattet. Ein weißer Stein ruht auf ihrem Grab.«
Mandred hatte das Gefühl, sein Herz müsse aufhören zu schlagen. Sein wilder Zorn war dahin. Tränen rannen über seine Wangen, ohne dass er sich dessen schämte. Er ging zur Tür. Niemand folgte ihm.
Der Grabhügel seines Großvaters lag ein Stück außerhalb des neuen Erdwalls, der Firnstayn schützte, ganz nah bei dem großen, weißen Felsbrocken am Ufer des Fjords. Hier hatte sein Großvater angelegt und war an Land gegangen. Er hatte das Dorf gegründet und es nach dem Stein, so weiß wie Mittwinterschnee, benannt. Firnstayn.
Mandred fand den weißen Grabstein an der Flanke des niedrigen Grabhügels. Lange kniete er dort nieder. Zärtlich strichen seine Hände über den rauen Stein.
Es war in der dunkelsten Stunde der Nacht, dass Mandred glaubte, einen Schatten in zerrissenen Kleidern auf der Hügelkuppe zu sehen.
»Ich bringe ihn zurück, Freya, und wenn es mich mein Leben kostet«, flüsterte er leise. »Ich bringe ihn zurück. Ich schwöre das bei der Eiche, die mir mein Leben gegeben hat. Stark wie ein Eichenstamm sei mein Eid!«
Mandred suchte nach Atta Aikhjartos Geschenk, und als er es fand, versenkte er die Eichel in der schwarzen Graberde. »Ich werde ihn dir zurückbringen.«
Der Mond trat zwischen den Wolken hervor. Der Schatten auf der Hügelkuppe war verschwunden.
RÜCKKEHR NACH ALBENMARK
Es war Winter in Albenmark, und bei aller Schönheit der verschneiten Landschaft machte ihm die Eiseskälte hier nicht weniger zu schaffen, als sie es in seiner Welt getan hätte. Auch hier musste der Krieger sich mühsam seinen Weg durch den hohen Schnee pflügen, während seine Elfenkameraden mit leichtem Schritt neben ihm her gingen. Und diesmal fehlte ihm die Kraft. Am Grab von Freya hätte er es noch mit ganz Albenmark aufnehmen können, doch heute war er niedergeschlagen und verspürte nichts als Verzweiflung und Leere in sich.
Selbst der Gedanke an seinen Sohn, der ihm ein Fremder sein würde, vermochte ihn nicht zu trösten. Er wollte ihn sehen, gewiss… Aber er verband damit wenig Hoffnung. Oleif musste längst zum Mann herangewachsen sein, und er mochte vielleicht in jemand anderen seinen Vater sehen. Dass auch noch Winter war in Albenmark, hatte Mandred endgültig entmutigt. Dies war das Land der Elfen und Feen, hier sollte ewiger Frühling herrschen! So hieß es zumindest in den Märchen. Es war gewiss ein böses Omen, diese Welt im Winter vorzufinden, auch wenn Farodin und Nuramon ihm hundert Mal versichert hatten, dass die Jahreszeiten hier genauso wechselten, wie sie es in der Welt der Menschen taten.
Atta Aikhjarto hatte nicht zu ihm gesprochen, als Mandred ihn am Tor besucht hatte. Hielten Bäume Winterschlaf, nachdem sie ihr Laub abgeworfen hatten? Oder gab es einen anderen Grund dafür? Niemand hatte sie am Tor empfangen, und das, obwohl die Königin doch angeblich alles wusste, was in ihrem Reich geschah.
Am ersten Tag waren sie bis zum Tor von Welruun gekommen, und keiner hatte ihren Weg gekreuzt. Mandred glaubte zu wissen, warum. Das Verhängnis war ihnen hierher nach Albenmark gefolgt! Schon von der ersten Stunde an hatte ein Unglücksstern über der Elfenjagd gestanden. Und dieser Stern war nicht verloschen. Was sie erlebt hatten, war eine Geschichte wie in den Sagas der alten Helden gewesen. Und diese Geschichten endeten immer tragisch!
Als Mandred sich am Morgen des zweiten Tages in Albenmark von seinem kalten Nachtlager erhob, tat er es nur, weil künftig niemand von ihm sagen sollte, er wäre seinen Weg nicht zu Ende gegangen. Er würde die Elfenjagd - die erste, die von einem Menschen angeführt worden war - zurückbringen; jedenfalls das, was von ihr noch geblieben war. Und er wollte wissen, welches Verhängnis ihr Schicksal endgültig besiegelte.
Keine Wache verstellte ihnen den Weg durch das Tor von Shalyn Falah. Selbst in Emerelles Burg erwartete sie niemand, sie schien wie ausgestorben. Unheimlich hallten ihre Schritte wider, als sie die mächtige Toranlage
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