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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Tröstung zwischen den wilden Zwiebeln liegen, eines neben dem anderen, schreiend nach einer Milch, die heiliger ist als die gesegnete, tropfenweise geschlürfte Milch aus den Dorfkalebassen. In der Reihe ihres Übergangenseins haben sie ihr diesen Platz gewiesen, sich mit der Zeugungskraft der Erde zu verbinden. Durch alle Tore fühlt die Frau den Kraftstrom in sich eindringen, ein Fluß zwischen ihren Schenkeln, Lichtschläge von ihren Fingern und Zehen. Es ist vertraut und nährend wie der Schlaf. Es ist Wärme. Je mehr das Licht des Tages schwindet, desto mehr ergibt sie sich - der Dunkelheit, der Niederkunft des Wassers aus der Luft. Sie ist ein Saatkorn in der Erde. Das heilige Aardvark hat ihr das Bett gegraben.
    Damals in Südwest war die Erdschweinhöhle ein mächtiges Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens. Ihr Status hier in der Zone ist nicht so klar. Innerhalb des Schwarzkommandos hat sich eine Fraktion gebildet, die für Unfruchtbarkeit und Tod votiert. Die Auseinandersetzung spielt sich meistens in der Stille ab, bei Nacht, in den Schmerzen und Krämpfen von Schwangerschaften oder Fehlgeburten. Aber es ist eine politische Auseinandersetzung. Niemand könnte besorgter darüber sein als Enzian. Er ist hier der Nguarorerue. Das Wort bedeutet nicht genau "Führer", sondern etwa "Einer, der geprüft worden ist". Enzian ist auch, obwohl ihm das keiner ins Gesicht sagt, unter dem Namen Otyikondo bekannt, das Halbblut. Sein Vater war ein Europäer. Nicht, daß ihn das zu einem Einzelfall machte unter den Erdschweinhöhlern. Viele von ihnen haben deutsches, slawisches und Zigeunerblut in ihren Adern. Nach zwei Generationen, die mit einer Schnelligkeit vorangetrieben worden sind, die in den Tagen vor dem Reich undenkbar war, haben sie eine Identität entwickelt, von der nur wenige vermuten, daß sie jemals eine endgültige Gestalt annehmen wird. Die Rakete wird eine endgültige Gestalt besitzen, aber nicht ihr Volk. Eanda und Oruzo haben ihre Macht hier draußen verloren - die Blutlinien von Mutter und Vater sind unterbrochen worden, zurückgelassen in Südwest. Viele der frühen Emigranten waren bereits zum Glauben der rheinischen Missionsgesellschaft übergetreten, lange bevor sie ihre Heimat verließen. In jedem ihrer Dörfer, wenn der Mittag die Schatten eng an die Körper preßte, in diesem Augenblick des Schreckens und der Zuflucht, hatte der Omuhona ihre Lederschürze aus seinem heiligen Beutel genommen, in dem sie seit der Geburt der Übergetretenen aufbewahrt worden waren, und hatte den Geburtsknoten gelöst. Mit jedem aufgebundenen Knoten war für den Stamm eine Seele gestorben. Daher tragen heute in der Erdschweinhöhle die Mitglieder der
    Fraktion der Leeren alle eine offene, knotenlose Lederschnur: es ist ein Element der alten Symbolik, das sie brauchbar gefunden haben.
    Sie nennen sich die Otukungurua. Stimmt, meine Herren Afrika-Spezialisten, es müßte eigentlich "Omakungurua" heißen - aber die Leeren weisen, mit einer Sorgfalt, hinter der sich Ungesünderes als Sorge zu verbergen scheint, immer wieder darauf hin, daß die Vorsilbe oma nur auf Lebendiges und Menschliches bezogen werden kann. Otu dagegen verweist auf Unbelebtes, Aufsteigendes, und das entspricht genau dem Bild, das sie von sich selbst haben. Revolutionäre der Null, sind sie angetreten, zu vollenden, was nach der Niederschlagung des Aufstandes von 1904 unter den alten Hereros seinen Anfang genommen hatte. Sie wollen eine negative Geburtenrate. Ihr Programm heißt Selbstmord als Rasse. Sie würden das Vernichtungswerk zu Ende führen, das die Deutschen im Jahre 1904 begonnen hatten.
    Eine Generation vor ihnen war die rückläufige Zahl der Lebendgeburten bei den Hereros im ganzen südlichen Afrika ein Thema von medizinischem Interesse gewesen. Die Weißen verfolgten die Entwicklung mit ebensoviel Argwohn, wie der Ausbruch der Rinderpest auf ihren Besitzungen hervorgerufen hätte. Wie beklemmend, sich mit ansehen zu müssen, wie die Zahl der eigenen Untertanen von Jahr zu Jahr dahinschwand. Was ist schon eine Kolonie ohne ihre dunklen Eingeborenen? Wo bleibt der Spaß, wenn sie einem alle einfach wegsterben? Nur noch ein fetter Brocken Wüste, ohne Dienstmädchen, ohne Arbeiter auf den Feldern, in den Bergwerken und am Bau - Moment da drüben, Augenblick mal, ja, Karl Marx ist das, der gerissene alte Rassist, der sich mit zusammengebissenen Zähnen und hochgewölbten Augenbrauen davonstiehlt und uns immer noch weismachen will,

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