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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Selbstmord! Auch vor Bing Crosby laßt mir meine Ruh, Vergeßt sein blödes "bu-bu-bu-boo", Ich bin nur scharf auf Selbstmord! Die Lebensmittelmarken könnt ihr sparen, Und auch die Muttis, die mal Baby-Vamps waren, Denn ich bin scharf, auf, Selbstmord! Baseball hab ich genauso satt, Scheiß auf das Land, scheiß auf die Stadt, Denn ich steh nur auf Selbstmord -ja, und in dem Stil geht's noch 'ne ganze Weile weiter, Strophe um Strophe. In seiner vollständigen Fassung präsentiert dieser Song eine ziemlich summarische Zurückweisung der Dinge des Lebens. Der Ärger dabei ist nur, daß es nach Gödels Theorem immer irgendeinen Punkt geben muß, den man auf seiner Liste vergessen hat und der einem natürlich auf die schnelle nicht so einfällt - also wird man wahrscheinlich die ganze Latte noch einmal durchgehen und dabei gleich kleine Fehler korrigieren, unvermeidliche Wiederholungen ausmerzen und neue Punkte anfügen, die einem inzwischen mit Sicherheit eingefallen sind und - tja, man sieht schon, daß es darauf hinauslaufen könnte, den "Selbstmord" vom Titel auf unbestimmte Zeit verschieben zu müssen!
    So sind die Gespräche zwischen Ombindi und Enzian zur Zeit ein Abtausch von Reklamesprüchen, bei denen Enzian nicht so sehr der genasführte Gimpel ist als vielmehr, widerwillig, der Stichwortgeber des Marktschreiers, dem er für ein Publikum einsteht, das zuhören mag oder auch nicht.
    "Ahh, sehe ich nicht deinen Schwanz wachsen, Nguarorerue? ... nein, nein, vielleicht denkst du nur an jemanden, den du einmal liebtest, irgendwo, vor langer Zeit... damals in Südwest, stimmt's?" Soll die Vergangenheit des Stammes sich zerstreuen können, müssen alle Erinnerungen öffentlich werden. Es hat keinen Witz, Geschichte zu bewahren, wenn einen doch nur die Endgültige Null erwartet... Doch zynischerweise predigt Ombindi das im Namen der alten Stammeseinheit, und hier liegt eine Schwäche seines Arguments - sieht übel aus, sieht aus, als wollte uns Ombindi hier verkaufen, daß uns die Krankheit Christentum niemals berührt hat, wo doch jeder weiß, daß wir alle von ihr angesteckt sind, manche zum Tode. Wirklich etwas schräg von Ombindi, hier zu einer Unschuld zurückzublinzeln, die er selbst nur vom Hörensagen kennt und an die er nicht glauben kann - die konzentrierte Reinheit der Gegensätze, das Dorf, das gebaut ist wie ein Mandala ... Trotzdem proklamiert und bekennt er sie, das Bild eines heiligen Grals, der aus sich leuchtend durch den Thronsaal schwebt, während die Scherzbolde vom runden Tisch gerade ein Furzkissen auf den prekären Stuhl praktizieren, auf welchen sich der Arsch des neuen Gralskönigs niederlassen will. Und obwohl die Grale selbst, sortiert als Kelche und Geschmeide, schon längst aus Plastik auf dem Markt sind, ein Pfennig das Dutzend, ein Groschen das Gros, preist und prophezeit Ombindi, sich in die Tasche lügend wie nur je ein Christ, die Ära dieser Unschuld, in der zu leben er selbst knapp verpaßt hat, durch eines der letzten Reservate vorchristlicher Einheit, die noch auf dem Planeten übrig sind: "Tibet ist ein Sonderfall. Tibet ist vom Empire mit Absicht ausgeklammert worden, als freies und neutrales Territorium, eine Schweiz für den Geist, wo Ausweisung unbekannt ist, wo es Alpen-Hima-layas gibt, um die Seele zu sich emporzuziehen, wo Gefahren selten genug sind, erträglich zu sein ... Die Schweiz und Tibet sind durch einen der wahren Meridiane der Erde miteinander verbunden, so wahr, wie es die Meridiane des Körpers sind, die die Chinesen kartiert haben. Wir werden uns solche neuen Karten auch der Erde einprägen müssen: und in dem Maße, wie die Reisen in das Innere alltäglich werden, werden diese Karten neue Dimensionen hinzugewinnen, und wie die Karten, so auch wir ..." Auch von Gondwanaland erzählt er, bevor die Kontinente auseinandertrieben, als Argentinien noch an Südwestafrika geschmiegt lag ... die Leute hören zu und tröpfeln zurück zu Höhle und Bett und Familienkalebasse, aus der sie in tiefen Zügen die ungeweihte Milch trinken, kalt und weiß wie der Norden...
    So fliegen zwischen Enzian und Ombindi selbst Begrüßungsfloskeln nie ohne eine Nutzlast aus Bedeutung hin und her, sorgfältig in den Kopf des anderen gezielt. Enzian weiß, daß man ihm seine Rolle seines Namens wegen zugewiesen hat. Der Name hat eine gewisse Magie. Doch er ist so lange schon unfähig, zu berühren, so lange schon neutral ... alles ist von ihm geflohen, bis auf den Namen, Enzian, eine

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