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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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daß es um nichts als billige Arbeit ginge und neue Überseemärkte ... Aber nein, geschnitten. Kolonien sind mehr, viel, viel mehr. Kolonien sind die Scheißhäuser der europäischen Seele, wo ein richtiger Kerl die Hosen runterlassen und relaxen kann, um den Geruch seiner eigenen Scheiße zu genießen. Wo er über seine schlanke Beute herfallen kann und so laut brüllen, wie er gerade Lust hat, und ihr Blut schlürfen voller unverstellter Freude. Oder etwa nicht? Wo er sich suhlen und brunften und sich gehenlassen kann in eine Sanftheit, eine aufnahmebereite Dunkelheit von Gliedern, von Haaren, wollig wie das Haar seiner eigenen verbotenen Genitalien. Wo Schlafmohn, Cannabis und Coca wachsen, üppig und grün und nicht in den Formen und Farben des Todes wie Blätterpilz und Mutterkorn, die Pilzarten und Krankheiten, die in Europa heimisch sind.
    Das christliche Europa hat schon immer Tod bedeutet, Karl, Tod und Verdrängung. Draußen, im Süden, in den Kolonien kann man sich ausleben, kann sich dem Lebendigen hingeben, der Sinnlichkeit in allen ihren Formen, ohne der Metropolis einen Schaden zuzufügen, ohne die Kathedralen, die weißen Marmorstatuen, die edlen Gedanken zu besudeln ... Kein Wort dringt je nach Europa zurück. Die Strecken des Schweigens sind groß genug hier unten, um jedes denkbare Verhalten aufzusaugen, wie dreckig und wie tierisch es auch sei...
    Manche von den rationaleren Männern der Medizin führten den Geburtenrückgang bei den Hereros auf einen Mangel an Vitamin E in ihrer Nahrung zurück - andere auf die schlechten Befruchtungschancen der Hererofrauen auf Grund ihrer ungewöhnlich langen und engen Gebärmütter. Doch unterhalb von Vernunftgerede und wissenschaftlicher Spekulation gelang es keinem weißen Afrikaner ganz, zu ignorieren, was er dabei fühlte ... etwas Unheimliches ging um im Veld: Er begann, in den Gesichtern der Hereros zu lesen, vor allem in den Gesichtern der Frauen, wie sie da aufgereiht hinter ihren Dornenzäunen standen, und er wußte, jenseits aller logischen Beweisbarkeit, daß hier ein gemeinsames Stammesbewußtsein am Werk war und daß es beschlossen hatte, Selbstmord zu begehen ... Rätselhaft. Vielleicht sind wir doch nicht so gerecht gewesen, wie wir's hätten sein können, vielleicht haben wir ihnen ihre Rinderherden und ihr Land tatsächlich geraubt ... und dann die Arbeitslager natürlich, der Stacheldraht, die Palisaden ... vielleicht finden sie, daß dies hier eine Welt ist, in der sie nicht länger leben wollen. Andererseits typisch für sie, geben einfach auf, kriechen einfach davon, um zu sterben ... warum verhandeln sie nicht mit uns? Wir könnten eine Lösung ausarbeiten, eine Art von Lösung ... Für die Hereros war es eine einfache Wahl, zwischen zwei Todesarten: dem Stammestod und dem christlichen Tod. Der Stammestod hatte einen Sinn. Der christliche Tod nicht den geringsten. Er schien wie eine Übung, die sie nicht brauchten. Die Europäer dagegen, mit den Scheuklappen ihres eigenen JesuskindSchwindels, sahen in der Selbstdezimierung der Hereros ein Mysterium, mächtig wie das vom Elefantenfriedhof oder von den Lemmingen, die sich ins Meer stürzen. Obwohl es keiner von ihnen zugeben wird, hat die Fraktion der Leeren hier im Exil der Zone, europäisiert in Sprache und Denken, abgeschnitten von der alten Einheit ihres Stammes, die Frage nach dem Warum des Ganzen ebenso mysteriös gefunden wie die Europäer. Doch sie haben danach gegriffen, wie eine kranke Frau nach einem Talisman greifen würde. Sie berechnen keine Zyklen, keine Wiederkehr, sie sind verliebt in den Glanz, den dieser Selbstmord eines ganzen Volkes hat - die Pose, den Gleichmut, die Tapferkeit. Diese Otu-kungurua sind Propheten der Masturbation, Fachleute für Abtreibung und Sterilisierung, Experten für orale und anale Akte, für pedale und digitale, für Sodomie und Päderastie - ihr Zugang und ihr Spiel sind Lust: Sie spielen mit Hingebung und Raffinesse, und die Erdschweinhöhler schenken ihnen Gehör.
    Die Leeren können einen Tag versprechen, an dem der letzte Zonen-Herero tot sein wird, einen endgültigen Nullpunkt einer voll ausgelebten kollektiven Geschichte. Das hat Format.
    Offene Machtkämpfe finden nicht statt. Alles ist Verführung und Gegen-Verführung, Werbung und Pornographie. Die Geschichte der Zonen-Hereros wird im Bett entschieden.
    Vektoren im nächtlichen Untergrund, auf der Flucht vor einem Zentrum, einer Kraft, die die Rakete selbst zu sein scheint: eine

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