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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Immachination - der Reise oder des Zieles -, die in der Lage ist, heftige politische Gegensätze in der Erdschweinhöhle zu vereinen, wie sie Brennstoff und Oxydator in ihrer Brennkammer vereint: abgemessen, überwacht, in Dienst genommen für die vorbestimmte Flugbahn, die Parabel.
    Es ist Abend, und Enzian sitzt wieder unter seinem Berg. Hinter ihm liegt ein weiterer Tag des Planens, des Antreibens, der Hetze und des frisch erfundenen Papierkrams - Formulare, die er, bevor er seinen Arbeitstag beendet, vernichtet oder auf Origami-Art zu Gazellen, Orchideen und Jagdfalken faltet. Wie die Rakete ihrer funktionsfähigen Gestalt, ihrer Reife, entgegenwächst, so wächst auch er in eine neue Konfiguration hinein. Er spürt es deutlich. Wieder etwas, worüber er sich Sorgen machen kann. Gestern, spät in der Nacht, blickten Christian und Mieczyslaw plötzlich von den Blaupausen hoch, begannen abrupt zu lächeln und verfielen in Schweigen. Ein luzides Zeichen der Verehrung. Sie studieren die Konstruktionszeichnungen, als stammten sie von ihm selbst, als wären es Offenbarungen. Das ist nicht schmeichelhaft für ihn.
    Das, was Enzian erschaffen möchte, wird keine Geschichte haben. Es wird niemals einer Modifizierung des Entwurfs bedürfen. Die Zeit, der Begriff von Zeit, den andere Nationen haben, wird hineinschwinden in diese neue. Die Erdschweinhöhle wird nicht, wie die Rakete, an die Zeit gebunden sein. Das Volk wird sein Zentrum wiederfinden, das Zentrum ohne Zeit, die Reise ohne Hysterese, für die jeder Aufbruch eine Rückkehr ist zum selben Ort, dem einzigen ...
    Enzian hat, auf diesem Weg, eine eigentümliche Affinität zu den Leeren entwickelt, vor allem zu Josef Ombindi aus Hannover. Das Ewige Zentrum kann sehr leicht auch als die Endgültige Null gesehen werden. Namen und Methoden unterscheiden sich, doch die Bewegung hin zur Unbeweglichkeit ist die gleiche. Das hat zu seltsamen Wortwechseln zwischen den beiden Männern geführt. "Weißt du", Ombindi, der mit weggerollten Augäpfeln zu einem Spiegelbild von Enzian aufschaut, das er allein sieht, "da ist... tja, da ist was, das du normalerweise nie als erotisch bezeichnen würdest - und doch ist's das erotischste Ding, das es überhaupt gibt." "Tatsächlich", grinst Enzian kokett. "Kann mir nicht vorstellen, was das sein sollte. Gib mir ein Stichwort." "Es ist ein nicht wiederholbarer Akt." "Eine Rakete abfeuern?"
    "Nein, denn es gibt immer eine neue Rakete. Aber es gibt nichts - ach, lassen wir's." "Ha! Nichts, womit man es überbieten könnte, das wolltest du doch eben sagen?" "Ich glaube, du brauchst noch ein Stichwort."
    "Na schön." Doch Enzian hat schon einen Verdacht: Man sieht es daran, wie er den Unterkiefer vorschiebt und gleich beginnen wird, zu lachen ...
    "Es vereinigt alle Abweichungen in einem einzigen Akt. "Enzian seufzt irritiert, aber er verzichtet darauf, sich gegen diesen Gebrauch des Wortes "Abweichung" zu verwahren. Die Vergangenheit ins Spiel zu bringen gehört zu Ombindis Strategie. "Homosexualität zum Beispiel." Keine Reaktion. "Sadismus und Masochismus. Onanie? Nekrophilie... " "All das im gleichen Akt?"
    All das und noch viel mehr. Beide wissen mittlerweile, daß der Gegenstand ihrer Diskussion der Akt des Selbstmordes ist, der auch Sodomie mit einschließt ("denk doch, wie süß", geht die Leier, "diesem verletzten und schreienden Tier Gnade, sexuelle Gnade zu erweisen!"), Pädophilie ("man hört immer wieder, daß man sich am Abgrund strahlend verjüngt"), lesbische Liebe ("ja, denn wenn der Wind durch die sich leerenden Abteile pfeift, können die beiden Schattenfrauen endlich aus ihren Kammern in der sterbenden Muschel am letzten aschengrauen Strand kriechen und sich umarmen ..."), Koprophilie und Urolagnie ("die letzten Konvulsionen ..."), Fetischismus ("eine Riesenauswahl an Todesfetischen natürlich ..."). Natürlich. Die beiden sitzen zusammen und teilen sich eine Zigarette, bis sie zu einem winzigen Stummel abgeraucht ist. Ist das nun einfach müßiges Geschwätz, oder versucht Ombindi tatsächlich, Enzian hier etwas aufzuhängen? Enzian muß sich Klarheit verschaffen, ehe er reagiert. Wenn er jetzt rausläßt, daß er es für eine Gaunerei hält, und es erweist sich, daß es doch nicht so gemeint war- nun gut. Im anderen Fall aber stünde er vor einer sehr seltsamen Alternative: Man macht ihn
    SCHARF AUF SELBSTMORD Tcha, was ich esse, schmeckt mir schal, Der Boogie-Woogie ist mir ganz egal, Denn ich bin scharf, auf,

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