Die Enden der Parabel
Tag, voll von Musik und den Gerüchen nach Salzwasser und Marschland, Blumen, brutzelnden Zwiebeln, verschüttetem Bier, frischem Fisch, darüber kleine, frostfarbene Wolken auf einem blauen Himmel. Die Brise ist frisch genug, um Slothrop in seinem Schweineanzug vor dem Schwitzen zu bewahren. Längs der Küste erstrecken sich nach beiden Seiten blaugrau schimmernde, atmende Wälder. Weiße Segel kreuzen draußen auf dem Meer. Als Slothrop aus dem braunen Hinterzimmer eines Pfeifen-rauch-und-Kohl-Cafes von einer einstündigen Partie Hammer und Amboß mit - Traum jedes Jünglings - ZWEI gesunden jungen Damen in Sommerkleidern und holzbesohlten Schuhen auf die Straße zurückkehrt, muß er feststellen, daß die Menge draußen inzwischen zu Klümpchen von dreien oder vieren zu gerinnen beginnt. Ach Scheiße, doch nicht jetzt, laßt das doch... Mit einem mulmigen Gefühl im Hintern, Kopf und Magen gebläht von Haferschleim und Sommerbier, setzt sich Slothrop auf einen Haufen Netze und versucht, sich schlecht und recht zur Wachsamkeit zu zwingen. Wenn sich aus Menschengruppen kleine Strudel dieser Art herauskristallisieren, läßt das hierzulande meist auf Schwarzmarkt schließen. Das Unkraut der Paranoia, militärisch grün, beginnt zwischen den Garten- und Mittagsfriedlichkeiten seine Blüten zu treiben. Der Letzte seines Geschlechtes - und wie weit vom Stamm: kein anderer Slothrop hat jemals angesichts von Handel solche Beklemmung empfunden wie jetzt er. Schon liegen Zeitungen auf den Pflastersteinen ausgebreitet, damit die Kunden die Kaffeebüchsen auskippen und sich vergewissern können, daß es nicht nur eine dünne Schicht echter Bohnen auf Ersatz ist. Goldene Armbanduhren und Ringe tauchen unter jähen Sonnenblitzen aus verdreckten Taschen auf. Zigaretten und lautlose, lappige, speckige Reichsmarknoten huschen von Hand zu Hand. Kinder spielen zwischen den Füßen der Erwachsenen, die auf polnisch, russisch, nordbaltisch, plattdeutsch miteinander schachern. Ein wenig vom DP-Stil ist zu spüren, die Beiläufigkeit, unpersönlich, ohnehin auf Durchreise, das Schieben fast eine Zugabe ... wo sind sie plötzlich alle hergekommen, diese grauen Händler, welche Schatten in der Gemütlichkeit des Tages haben sie versteckt? Aus ihrem eigenen, unheimlichen Amtsstuben-Schweigen heraus materialisieren sich jetzt die Bullen, zwei schwarzweiße Mannschaftswagen voller blaugrüner Uniformen mit weißen Armbinden und strahlenbesternten Tschakos, die Schlagstöcke schon gezückt, schwarze Dildos in nervösen Händen, pulsierend, bereit zum Handeln. Die Wirbel in der Menge lösen sich blitzartig auf, Schmuck klirrt aufs Pflaster, Zigaretten fallen und werden unter den Füßen von flüchtenden Zivilisten zertreten, deren Blicke erschrocken zwischen den in Abfall verwandelten Uhren, Orden, Seidenstoffen, Banknotenrollen herumirren, den rosahäutigen Kartoffeln und ellenbogenlangen Sämischle-der-Handschuhen, die mit aufgebogenen Fingern in den Himmel greifen, den zerschlagenen Glühbirnen und Pariser Slippers, den goldenen Bilderrahmen rund um Stilleben aus Pflastersteinen, Eheringen, Broschen, doch nichts davon wird eingesammelt, alle haben nur noch Angst.
Kein Wunder. Die Bullen gehen bei der Auflösung dieser Versammlung zu Werke, wie sie vor dem Krieg mit Anti-Nazi-Kundgebungen umgesprungen sein müssen -dreschen drauflos, mmm ja, mit diesen biegsamen Stöcken, die Augen abgestimmt auf die subtilsten Möglichkeiten des Bedrohens, nach Leder riechend, nach der wollenen Achselhöhlenranzigkeit ihrer eigenen Furcht, schlagen auf kleine Kinder ein, drei gegen eins, stoßen Mädchen nieder, alte Leute, zwingen sie, selbst Schuhe und Unterwäsche auszuziehen und auszuschütteln, prügeln und hauen in unermüdlicher Knüppelarbeit in die weinenden Kinder und schreienden Frauen hinein. Spaß ist ihnen anzumerken, das Bemühen, ihre Sache gut zu machen, und Nostalgie nach alten Zeiten. Der Krieg muß eine echte Dürreperiode gewesen sein, was Massendressuren dieser Art anlangt, Mord und Wehrkraftzersetzung waren das höchste der Gefühle, immer nur ein Verdächtiger pro Fall. Aber jetzt, da es gilt, den Weißen Markt zu verteidigen, jetzt hat man wieder ganze Straßenzüge voller Körper, die alle auf ihre vorsorgliche Abreibung scharf sind, und man darf Gift drauf nehmen, daß es die Bullen glücklich macht.
Nach kurzer Zeit bekommen sie russische Verstärkung, drei Lastwagen voller junger Asiaten in Arbeitskluft, die nicht so recht zu
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