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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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die Stadt vor einer Wikingerinvasion gerettet hat, indem er einem Donnerschlag entstieg und die heulende Nordmännermeute ins Meer zurücktrieb. Seit damals wird die wunderbare Rettung der Stadt jeden Sommer an einem Donnerstag gefeiert, denn Donar, oder Thor, der Donnergott, war es, der das Riesenschwein gesandt hatte. Im 10. Jahrhundert fanden die alten Götter noch starken Zuspruch bei den Leuten.
    Donar war noch nicht zu einem heiligen Petrus oder Roland domestiziert, wenn die Zeremonie auch später vor der Rolandsstatue der Stadt, gleich neben der Peterskirche, abgehalten wurde.
    Dieses Jahr allerdings ist sie gefährdet. Schraub, der Schuhmacher, der seit dreißig
    Jahren den Plechazunga verkörpert hat, ist letzten Winter noch zum Volkssturm
    eingezogen worden und nicht zurückgekehrt. Nun scharen sich die weißen
    Lampions, im Dunkeln ruckweise hüpfend, um Tyrone Slothrop, winzige Finger
    bearbeiten seinen Bauch.
    "Du bist der dickste Mann von der Welt."
    "Er ist viel dicker als sonst jemand in der Stadt."
    "Möchtest du nicht? Möchtest du nicht?"
    "So dick bin nun auch wieder nicht -"
    "Hab ich nicht gleich gesagt, daß jemand kommen wird."
    "Und größer ist er auch."
    "Momentmoment - ob ich was möchte?"
    "Morgen Plechazunga sein."
    "Bitte."
    Weich und willfährig, wie er dieser Tage ist, fügt sich Slothrop. Sie scheuchen ihn aus seinem Grasbett auf und hinunter zum Rathaus, wo im Keller die Masken und Kostüme für das Schweineheldfest liegen - Schilde, Speere, gehörnte Helme, blankgewetzte Tierfelle, hölzerne Thorshämmer und drei Meter lange Blitze, belegt mit Blattgold. Das Schweinekostüm ist eine Überraschung - rosa, blau und gelb, krachende Farben, ein deutsches Expressionistenschwein, außen Plüsch, innen mit Stroh gepolstert. Es scheint wie angegossen zu passen. Hmm. Das Publikum am nächsten Morgen ist spärlich und gelassen: alte Leute und Kinder, ein paar schweigsame Kriegsheimkehrer. Die Wikinger-Invasoren werden alle von Kindern gespielt, die Helme rutschen ihnen über die Augen, die weiten Umhänge schleifen auf dem Boden, die Schilde sind so hoch wie die Krieger und ihre Waffen doppelt so hoch. Riesige Plechazunga-Bil-der aus weißen Levkojen, roten Raden und blauen Kornblumen, die auf Maschendrahtrahmen geflochten sind, säumen den Festplatz. Slothrop erwartet seinen Auftritt in einem Versteck hinter dem Roland, einem ausgeprägt humorlosen, glotzäugigen, gelockten Exemplar mit enggeschnürter Taille. Bei ihm befinden sich ein ganzes Arsenal von Feuerwerkskörpern sowie sein Assistent Fritz, der etwa acht ist und ein WilhelmBusch-Original. Slothrop, unerfahren in Schweineheldenfeiern, ist leicht nervös. Aber Fritz ist ein alter Experte und hat vorsorglich einen glasierten Krug mit irgendeinem flüssigen Magentöter mitgebracht, der - es sei denn, dieses Wort bedeutet etwas ganz anderes - aus Haferschleim destilliert sein soll.
    "Haferschleim, Fritz?" Er nimmt noch einen Schluck, es tut ihm schon leid, daß er gefragt hat. "Haferschleim, ja."
    "Tcha, Haferschleim ist besser als Halberschleim, ho, ho..." Was immer es auch sein mag, es scheint direkt ins Hirn zu gehen. Zum Zeitpunkt, da sich die Wikingerhorde unter ernsthafter Choralbegleitung der lokalen Blaskapelle bis zum Roland hochgekeucht und -gekämpft, Aufstellung genommen und die Übergabe der Stadt gefordert hat, merkt Slothrop, daß sein Kopf nicht mehr mit dem ihm sonst innewohnenden Scharfsinn funktioniert. In welchem Augenblick Fritz sein Streichholz anreißt und die reinste Hölle losbricht, Raketen, Leuchtkugeln, Feuerräder und -PLECCCHHAZUNNGGA! Eine gewaltige Ladung Schwarzpulver pustet ihn ins Freie, verschmort ihm den Arsch und bügelt ihm die Locke aus seinem Schwanz raus. "Oh, äh, ach stimmt, ja ..." Torkelnd und mit breitem Grinsen grölt Slothrop seine Zeile: "Ich bin der Zorn Donars - und heute werdet ihr mein Amboß sein!" Und ab geht die
    Post, zu einer lärmenden Hetzjagd durch die Gassen, das Gequieke kleiner Kinder, einen Schauer weißer Blüten hinunter zum Strand, wo sich alle anzuspritzen und gegenseitig unterzutauchen beginnen. Die Stadtbewohner packen Bier und Wein, Brote, Quark und Würste aus. Kartoffelpuffer werden goldbraun und tropfendheiß aus dem Öl gehoben, das in schwarzen Stielpfannen über kleinen Torffeuern raucht. Mädchen machen sich an Slothrop heran und streicheln seine Schnauze und seine samtigen Flanken. Die Stadt ist wieder für ein Jahr gerettet.
    Ein friedlicher, besoffener

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