Die Enden der Parabel
warum er hier draußen ist? Was ich ihm angetan habe, für sie? Und wie man sie stoppen kann? Wie lange soll ich denn noch an der Oberfläche bleiben, mit bequemen Auswegen? Ist es denn nicht endlich Zeit, daß ich mich einlasse?" Ihr Masochismus [schrieb-Weißmann aus Den Haag] gibt ihr Bestätigung: daß sie noch verletzt werden kann, daß sie noch menschlich ist und schreien kann vor Schmerz. Denn allzu leicht läuft sie Gefahr, das zu vergessen. Ich kann nur vermuten, wie furchtbar das sein muß ... Und so braucht sie die Peitsche. Sie hebt ihren Arsch nicht aus Hingabe, sondern aus Verzweiflung - wie bei Deinen Potenzängsten, oder meinen: geht es noch ... geht es schief... Aber von wahrer Unterwerfung, vom Aufgeben des eigenen Selbst und Einswerden mit dem All - keine
Spur, nicht bei Katje. Sie ist nicht das Opfer, das ich gewählt hätte, um mit ihm dies hier zu vollenden. Vielleicht wird es, ehe das Ende kommt, noch ein anderes geben. Vielleicht träume ich... aber schließlich bin ich nicht hier, um mich mit ihren Phantasien abzugeben, oder?
"Sie sind zum Überleben bestimmt. Ja, wahrscheinlich. Ganz gleich, wie schmerzhaft Sie es für sich selbst gestalten wollen, Sie werden immer durchkommen. Sie haben immer die Freiheit, selbst zu bestimmen, wie angenehm eine Passage werden soll. Normalerweise wird so etwas als Belohnung verliehen. Ich werde Sie nicht fragen, wofür. Es tut mir leid, aber Sie scheinen es tatsächlich nicht zu wissen. Und deswegen ist Ihre Geschichte die traurigste von allen."
"Belohnung -" sie wird wütend. "Es ist eine lebenslange Strafe. Wenn Sie so etwas eine Belohnung nennen - wie nennen Sie dann mich?" "Nichts Politisches." "Sie schwarzer Bastard."
"Genau." Er hat es ihr erlaubt, die Wahrheit auszusprechen. Eine Uhr schlägt in der steinernen Ecke. "Wir haben jemand hier, der noch im Mai mit Blicero zusammen war. Unmittelbar vor dem Ende. Sie brauchen keineswegs -" "Mitzukommen und zuzuhören, Oberst, nein. Aber ich will."
Er erhebt sich, bietet ihr seinen offiziösen Arm an, lächelt che-valeresk zur Seite und kommt sich wie ein Clown vor. Ihr Lächeln ist hochgezogen wie das einer schelmischen Ophelia, die gerade einen ersten Blick ins Land des Wahnsinns geworfen hat und nun drauf brennt, vom Hof wegzukommen.
Rückkopplung, Gegenlächeln, Angleichungen, Oszillationen: worauf es sich einpegelt, ist: wir werden uns nie kennenlernen. Ein Strahlen, Fremde, la-la-la, na los, gehn wir und hören uns das Ende eines Mannes an, den wir beide geliebt haben - und im Kino sind wir Fremde, verdammt zu getrennten Reihen, Klassen, Ausgängen, Heimwegen.
In einem fernen Korridor dröhnt und staubt eine lautstarke Bohraktion, knapp vor dem Durchbruch. Tabletts und Eßbestecke klappern, ein unschuldiges und freundliches Geräusch hinter vertrauten Dampfvorhängen, Fett an der Grenze zum Ranzigwerden, Zigarettenrauch, Spülwasser, Putzmittel - eine Kantine um die Mittagsstunde.
Es gibt Dinge, an die man sich halten kann ...
[4.5] Thanatz
Ihr werdet Ursache-und-Wirkung wollen. Also gut. Thanatz wurde im selben Sturm über Bord gespült, der auch Slothrop von der Anubis fegte. Er wurde von einem polnischen Leichenbestatter in einem Ruderboot gerettet, der in dieser Sturmnacht unterwegs war, um zu sehen, ob er nicht von einem Blitz getroffen werden könnte. In der Hoffnung, dadurch Elektrizität auf sich zu ziehen, trägt der Bestatter einen komplizierten Anzug aus Metall, ähnlich wie ein Tiefseetaucher, und einen Stahlhelm der Wehrmacht, den er mit etlichen hundert Löchern durchbohrt und anschließend mit Nuten, Bolzen, Bettfedern und leitfähigen Drähten von vielerlei Gestalt gespickt hat, so daß es ziemlich klingelt, wenn er nickt oder den Kopf schüttelt, was häufig geschieht. Er ist stark digital veranlagt, auf jede Frage gibt's entweder ein Ja oder ein Nein, was Wunder, daß tatsächlich zweifarbige Schachbrettmuster von bizarrer Form und Oberfläche rund um ihn und Thanatz in der regnerischen Nacht aufzublühen beginnen. Schon immer, seit dieser Bestattungsunternehmer auf einem amerikanischen Propagandaflugblatt etwas über Benjamin Franklin gelesen hat, die Drachen-Donner-Schlüssel-Geschichte, ist er von dem Plan besessen, sich von einem Blitzschlag in den Kopf treffen zu lassen. Überall in Europa, so war's ihm eines
Nachts wie ein Blitz (wenn auch nicht von der gewünschten Sorte) durch den Kopf geschossen, überall laufen, jetzt, in diesem Augenblick, Hunderte von
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