Die Enden der Parabel
weiterhelfen.
Andreas gegenüber ist sie charmant, strahlt jene sinnliche Bewußtheit aus, die Frauen eigen ist, die sich um die Sicherheit eines abwesenden Geliebten sorgen. Dann aber muß sie Enzian gegenübertreten. Ihre erste Begegnung. Beide sind sie, auf gewisse Weise, von Hauptmann Blicero geliebt worden. Beide mußten sie einen Weg finden, das zu ertragen, gerade nur zu ertragen, lange genug, von einem Tag zum nächsten ...
"Oberst. Ich freue mich-" ihre Stimme bricht. Ohne Verstellung. Ihr Kopf neigt sich nicht länger über seinen Schreibtisch, als sie zum Danken braucht, zur Andeutung ihrer Passivität. Zum Teufel freut sie sich.
Er nickt, weist mit dem Bart auf einen Stuhl. Dies also ist sie, die Goldene Hure aus Bliceros letzten Briefen aus Holland. Enzian hatte sich damals kein Bild von ihr gemacht, zu sehr in Anspruch genommen, zu sehr geknebelt von seiner Sorge um Weiß-mann selbst. Sie schien ihm nicht mehr zu sein als nur eine der berechenbaren Formen des Entsetzens, die seine Welt bevölkern mußten. Nach einiger Zeit jedoch, Herero immer dann, wenn er's am wenigsten wollte, begann er, sie sich als die Große Weiße Frau des Kalahari-Felsenbildes vorzustellen, weiß von der Taille abwärts, Pfeil und Bogen tragend, geführt von ihrer schwarzen Magd durch einen erratischen Raum, steinern und tief, erfüllt von schwankenden Gestalten aller Größen...
Hier aber ist die wirkliche Goldene Hure. Er ist überrascht, wie jung und schmal sie ist - eine Blässe, als hätte sie begonnen, aus dieser Welt hinauszusickern, als könnte sie bei jedem allzu beherzten Griff vollends verschwinden. Sie weiß um ihre heikle Zartheit, ihre Leukämie der Seele, und sie reizt damit. Man muß sie begehren, aber darf es nicht zeigen - weder durch Blik-ke noch Gesten -, sonst wird sie sich verflüchtigen, auflösen wie Rauch über einem Weg, der in die Wüste führt, und du kriegst keine zweite Chance mehr.
"Sie müssen ihn nach mir noch gesehen haben." Er spricht ruhig. Sie ist überrascht von seiner Höflichkeit. Enttäuscht: sie hat mehr Kraft erwartet. Ihre Lippe beginnt sich zu heben. "Wie kam er ihnen vor?"
"Allein." Ihr brüskes Sich-zur-Seite-Neigen. Ein Blick zurück auf ihn im besten Gleichmut, den sie in dieser Lage aufbringt. Sie meint: Du warst nicht bei ihm, als er dich brauchte. "Er war immer allein."
Da begreift sie, daß es nicht Scheu ist, daß sie sich täuscht. Der Mann will anständig sein. Es ist Bescheidenheit. Er hält sich offen vor ihr. (Sie auch vor ihm, aber nur, weil alles, was sie schmerzen könnte, längst abgestorben ist. Katje läuft kein großes
Risiko.) Enzian aber riskiert, was abgelegte Liebhaber immer riskieren, wenn der Geliebte anwesend ist, ob in Person oder in Worten: endlose Möglichkeiten der Scham, des erneuerten Verlustgefühls, der Erniedrigung, des Verhöhntwerdens. Soll sie ihn verhöhnen? Hat er ihr das zu leicht gemacht - und sich's dann anders überlegt, auf ihre Fairness gebaut? Kann sie so aufrichtig sein wie er, ohne zuviel zu riskieren? "Er starb", erzählt sie ihm, "er sah sehr alt aus. Ich weiß nicht mal, ob er Holland noch lebendig verlassen hat."
"Er -" und sein Zögern mag verschiedene Gründe haben, a) Rücksicht auf ihre Gefühle, b) die Sicherheit des Schwarzkommandos, c) vielleicht beides zugleich ... aber dann, zum Teufel, gewinnt das Prinzip des maximalen Risikos wieder die Oberhand: "Er kam bis in die Lüneburger Heide. Wenn Sie das noch nicht gewußt haben, dann sollten Sie's wissen." "Sie haben ihn gesucht?"
"Ja. Genauso Slothrop, obwohl ich nicht glaube, daß sich Slothrop darüber im klaren ist."
"Slothrop und ich -" ihr Blick schwenkt durch das Zimmer, prallt ab von Oberflächen aus Metall, Papieren, dem Glaskristall eines Salzstreuers, kommt nicht zur Ruhe. Wie eine überraschende, verzweifelte Beichte: "Es ist mir alles so fern gerückt. Ich weiß nicht einmal wirklich, wozu sie mich hierhergeschickt haben. Ich weiß nicht mehr, wer Slothrop überhaupt war. Das Licht nimmt ab. Ich kann nichts mehr sehen. Alles zieht sich zurück vor mir... "
Noch ist es nicht Zeit, sie zu berühren, aber Enzian streckt seinen Arm aus und gibt ihr einen freundlichen Kopf-hoch-Klaps auf den Handrücken, ein militärisches nur ruhig ... "Es gibt Dinge, an die man sich halten kann. Nichts davon mag wirklich aussehen, aber manche sind's dennoch. Wirklich!"
"Wirklich." Beide beginnen zu lachen, sie europäisch-müde, langsam, kopfschüttelnd. Früher wäre
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