Die Enden der Parabel
Unsterblichkeit versprochen zu bekommen von einem, dem man nicht glauben kann ...
Ja, er bedeutet mir etwas. Sehr viel sogar. Er ist ein altes Ich, ein Albatros, der mir teuer ist, den ich nicht lassen kann."
"Und ich?" Sie schließt, daß er von ihr den Tonfall einer Frau der vierziger Jahre erwartet. "Und ich", in der Tat. Doch aus dem Stegreif fällt ihr keine andere Hilfe ein, die sie ihm jetzt geben könnte, für einen Augenblick des Trostes ... "Du, arme Katje: deine Geschichte ist die traurigste von allen. " Sie hebt den Kopf, um auch genau zu sehen, wie sein Gesicht sie jetzt verspotten wird. Sie ist bestürzt, statt dessen Tränen zu finden, Tränen, die über seine Wangen laufen. "Dir bat man nur eins gegeben: Freiheit." Seine Stimme versagt beim letzten Wort, sein Gesicht sinkt einen Augenblick in den Käfig seiner Hände, befreit sich wieder und versucht, ihr Lachen von vorhin zu imitieren, den Galgen- und den Walzerton. Oh, nein, dreht auch er jetzt ihretwegen durch? Was sie gerade jetzt in ihrem Leben braucht, von irgendeinem Mann in ihrem Leben, ist Stabilität, ist geistige Robustheit und Charakterstärke. Nicht das hier. "Ich habe es auch Slothrop gesagt, daß er frei sei.
Ich sage es jedem, der vielleicht zuhört. Ich sage es allen, wie ich es Ihnen sage: Sie sind frei. Sie sind frei. Sie sind frei..."
"Wie könnte meine Geschichte auch trauriger sein als das." Schamloses Mädchen, sie will ihn nicht mehr aufheitern, sie flirtet jetzt mit ihm, nach allen Regeln der Kunst, die sie in ihrer Kreppapier- und Schnörkelzeit als junges Mädchen gelernt hat. Sie will sich davor schützen, in seine Schwärze hineingezogen zu werden - die, genaugenommen, nicht seine Schwärze ist, sondern ihre eigene: eine unerträgliche, geleugnete Finsternis, von der sie im Augenblick glauben macht, es wäre Enzians: etwas, das selbst noch jenseits von Pans dunklen Büschen liegt, das nicht mehr pastoral ist, sondern ganz der Stadt gehört, eine Matrix von Wegen, die Kräfte der Natur zu beugen, ihre Spannung abzuzapfen, sie zu destillieren oder ihre Farben auszuwaschen, bis sie so ähnlich wieder zum Vorschein kommen wie die bösartigen Toten, die Qlippoth, die Weißmann "transzendiert" hat, jene Seelen, deren Gang über die Grenze ein so schlechter Trip war, daß sie ihre ganze Freundlichkeit in dem blauen Blitzen (lange Meeresfurchen, die sich kräuselten) verloren haben und zu schwachsinnigen Killern und Witzbolden geworden sind, die unverständlich durch die Leere quaken, sehnig und ausgedürrt wie Ratten - eine Stadtfinsternis, die ihre eigene ist, ein strukturiertes Dunkel, das nach allen Seiten fließt, in dem nichts anfängt, in dem nichts aufhört. Doch wie die Zeit vergeht, wird das Klima lauter dort. Es zwängt sich wie ein Beben in ihr Bewußtsein.
"Flirten Sie nur mit mir, wenn Sie wollen", sagt Enzian jetzt, geölt wie Cary Grant, "aber erwarten Sie, daß ich Sie ernst nehme. " Ah-ha. Das ist der Stoff, für den ihr hier seid, Freunde!
Nicht notwendigerweise. Seine Bitterkeit (alles säuberlich quittiert in deutschen Akten, die inzwischen allerdings verbrannt sein mögen) reicht ihr zu tief, wahrhaftig. Er muß sich tausend Masken angeeignet haben (wie auch die Stadt sich weiterhin vor Invasionen maskieren wird, die wir oft nicht bemerken, deren Folgen wir nie erfahren, schweigende und übersehene Revolutionen in den Lagerhausdistrikten, wo die Mauern leer sind, in den Schuppen, wo dichtes Unkraut wuchert), und diese hier, kein Zweifel, dieser Geschliffene Seniorexote, ist eine davon.
"Ich weiß nicht, was ich tun soll." Sie steht mit einem langen, langen Achselzucken auf und beginnt anmutig durch das Zimmer zu stelzen. Ihre alte Masche: ein Mädchen um die Sechzehn, das glaubt, alle Welt starre ihm nach. Ihr Haar fällt wie eine Kapuze. Ihre Arme streifen oft an.
"Sie brauchen sich hier nicht weiter verwickeln zu lassen, als nötig ist, um Slothrop aufzuspüren", gelingt es ihm schließlich zu sagen. "Alles, was Sie dazu tun müssen, ist, sich bei uns einzurichten und zu warten, bis er wieder auftaucht. Warum sollten Sie sich mit dem übrigen belasten?"
"Weil ich fühle", ihre Stimme, vielleicht geplant, ist jetzt sehr klein, "daß dieses <Übrige> genau das ist, was ich eigentlich tun sollte. Ich möchte nicht mit irgendeinem billigen Gewinn davonkommen. Ich möchte nicht einfach nur - ach, ich weiß auch nicht, mich für den Kraken revanchieren oder so was. Muß ich denn nicht endlich wissen,
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