Die Enden der Parabel
Aber bis zum nächsten Barbecue werden dich unsere guten Wünsche bestimmt wieder hochgepäppelt haben! Minnie Cal-kins von der Ortsgruppe 1.793 hat am Ostersonntag einen Flie-gentürenvertreter aus Kalifornien geheiratet. Leider kommt ihr Mann für uns als Mitglied nicht in Frage - jedenfalls noch nicht. Aber mit all den Fliegengittern in der Nähe ... Wir halten Minnie jedenfalls beide Daumen! Euer Redakteur hat viele Anfragen bekommen wegen des Vorfalls auf der Frühjahrskonvention in Decatur, als während des Segens plötzlich alle Lichter ausgingen. Ich freue mich, euch heute des Rätsels Lösung mitteilen zu können: es war ein plötzlicher Spannungsausreißer im Netz, "eine regelrechte elektrische Flutwelle", wie uns Hank Faffner schreibt, unser Ingenieur vor Ort, "sämtliche Birnen brannten durch, die Decken hingen voll von rußigen, sterilen kleinen Eiern". Ein richtiger Dichter, unser Hank! Wenn du uns jetzt nur noch sagen könntest, wo diese Spitze hergekommen ist
Aber geht's dem polnischen Bestattungsunternehmer in seinem Ruderboot denn um das Knacken dieses Codes, um geheime Organisationen oder identifizierbare Subkulturen? Es geht ihm nicht. Der einzige Grund, warum er über diese Leute was erfahren will, ist die Hoffnung, auf diese Weise in seinem Beruf weiterzukommen. Ist das zu fassen, Freunde? Er möchte rauskriegen, wie sich Leute vor und nach Blitzschlägen verhalten, um seine Kundschaft vor und nach den Schicksalsschlägen besser im Griff zu haben.
"Sie pervertieren eine große Entdeckung um des schnöden Mammons willen", tadelt Thanatz und tritt an Land. "Sie sollten sich was schämen." Er ist noch keine fünf Minuten durch die menschenleere Stadt am Rand der Marsch marschiert, als im Wasser hinter ihm, nockle KKAHH-UHNN! nocklenockle nockle ein gewaltiger Lichtblitz und Donner niedergehen, gerade dort, wo der Bestattungsmensch, verstimmt ob des vermeintlichen Undanks, seewärts davonrudert. "Oh?" kommt seine schwache Stimme: "Oh, ho. Oh-ho-ho-ho! "Hier lebt keiner außer uns." Eine vierschrötige Gestalt, eine flüsternde Silhouette, ist holzkohlentrüb vor Thanatz aufgetaucht. "Wir behelligen Besucher nicht. Aber es wäre besser, wenn Sie einen anderen Weg einschlügen."
Es sind 175er- homosexuelle KZ-Insassen. Sie sind vom Lager Dora in Nordhausen aus nach Norden gezogen, immer nach Norden, bis das Festland endete, und haben hier zwischen der Marsch und der Odermündung eine männliche Gemeinde gegründet. Normalerweise entspräche so was Thanatzens Vorstellung vom Paradies - nur, daß keiner dieser Männer es ertragen kann, nicht mehr in Dora zu sein: Dora war ihre Heimat, und nun sind sie krank vor Heimweh. Ihre "Befreiung" war eine Verbannung. Also haben sie sich hier, an ihrem neuen Standort, eine eigene imaginäre SS-Hierarchie installiert. Nicht länger darauf angewiesen, wen ihnen das Schicksal als Schergen zuteilte, sind ihnen hier, vom Schutzhäftlingsführer bis zum Blockführer, eine Reihe von ganz ausgesucht gemeinen Nazi-Spielgefährten gelungen, und auch für sich selbst als Insassen haben sie die interne Hierarchie nicht vergessen: Lager- und Blockältester, Kapo, Vorarbeiter, Stubendienst und Läufer (der zwar ein Bote ist, doch seinen Namen mit dem "Offizier" des Schachspiels teilt... wer ihn einmal gesehen hat, am frühesten Morgen über die feuchten Wiesen laufend, die flatternde, auffliegende rote Robe zwischen den sumpfigen Hügeln fast bis zur Farbe von Baumrinden verdunkelt, der wird eine Ahnung von seiner wirklichen Bestimmung in dieser Gemeinschaft gewonnen haben: er ist ein Träger von heiligen Strategien, von Memoranden des Gewissens, und wenn er über die schilfige Niederung des Morgens näher kommt, so packt es euch bei den Schlafittchen und streift euch mit dem Windhauch eines Großen Augenblicks - denn der Läufer ist der Geheiligtste hier, er ist es, der die Botschaften hinausträgt an die verderbenbringende Grenzfläche zwischen dem sichtbaren Lager und der unsichtbaren SS).
An der Spitze des Komplexes steht der Schutzhäftlingsführer Blicero. Der Name ist bis hier, so weit nach Osten, vorgedrungen, als setzte er den Rückzug des Mannes an dessen Stelle fort, über den letzten Kampf in der Lüneburger Heide hinaus. Er ist das schlimmste Gespenst in der Zone. Er ist bösartig, er durchsetzt die länger werdenden Sommernächte, er verwandelt sich wie eine krebszerfressene Wurzel, wächst dem Winter entgegen, wird weißer, gleicht sich der Trägheit und dem
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