Die Enden der Parabel
deutsche Präzision, ihren feinen stählernen Strich. Bald wird er seinen Kreislauf durch die Sanitätsstationen und Feldlazarette antreten, der sich nicht weniger für Nachkriegsnostalgien eignen wird als ein Kreislauf durch Kurorte der Friedenszeit - Militärchirurgen und Dentisten werden ihm rostfreie Stähle um sein Leben ins leidende Fleisch ketten und hämmern, werden das gewaltsam Eingedrungene mit Hilfe einer elektromagnetischen Apparatur entfernen, die sie zwischen den Kriegen bei Schumann in Düsseldorf gekauft haben, mit Glühbirne und verstellbarem Reflektor, mit arretierbaren Kurbeln zur Justierung in zwei Achsen und einem umfangreichen Satz von merkwürdig geformten eisernen Gebilden, Polschuhen zur Veränderung der Form des Magnetfelds ... aber dort in Rußland, in jener Nacht mit Wimpe, dort hatte er Blut geleckt, war eingeweiht worden in den Körperkult des Stahls ... unmöglich, das jemals vom Theophosphat zu trennen, die stählernen Werkzeuge zu trennen von der ungöttlichen, wahnsinnigen Raserei... Eine Viertelstunde lang rennen sie brüllend in der schäbigen Hotelsuite herum, taumeln in wirren Kreisen, werfen sich in die Diagonalen des Zimmers. Laszlo Jamfs berühmtes Molekül enthält eine Besonderheit, die sogenannte "Pökler-Singularität", die sich in einem verkrüppelten Indolring lokalisieren läßt und von den neueren Oneirinisten, akademischen Forschern wie praktischen Anwendern, übereinstimmend für die Halluzinationen verantwortlich gemacht wird, die dieser Droge eigentümlich sind. Sie beschränken sich nicht auf den audiovisuellen Bereich, sondern erfassen alle Sinne gleichermaßen. Und sie wiederholen sich. Bestimmte Motive, "mantische Archetypen" (wie Jollyfox von der Cambridger Schule sie genannt hat), treten bei bestimmten Individuen immer wieder auf und legen dabei eine Konsistenz, an den Tag, die auch unter Laborbedingungen demonstriert werden konnte (vgl. Wobb und Whoaton, "Mantic Archetype Distribution Among Middle-Class University Stu-dents", Journ. Oneir. Psy. Pharm., XXIII, 406-45 3). Da gewisse Analogien zu Geistererscheinungen bestehen, wird dieses Wiederholungsphänomen im einschlägigen Jargon als "Heimsuchung" bezeichnet. Während andere Typen von Halluzinationen dazu neigen, wie ein Strom von dunklen Assoziationen vorüberzuziehen, deren Beziehungen untereinander dem normalen Drogenbenutzer verborgen bleiben, zeichnen sich die Oneirin-Heimsuchungen durch eine narrative Kontinuität aus, die so klar verfolgbar ist wie, sagen wir, ein durchschnittlicher Reader's-Digest-Artikel. Oft sind sie so banal und konventionell - in der Tat nennt sie Jeaach die "langweiligsten Halluzinationen, die in der Psychopharmakologie bekannt sind" -, daß sie als Heimsuchungen erst auf Grund einer radikalen, wenn auch plausiblen Vergewaltigung der Wahrscheinlichkeit erkennbar werden: durch die Anwesenheit von Toten, das Phänomen von Reisen über gleiche Strecken mit gleichen Mitteln, bei welchen eine später aufgebrochene Person als erste ankommt, das Auftauchen eines Diagramms, das auch bei beliebig großer Helligkeit nicht lesbar wird ... Sobald dem Oneirin-Benutzer bewußt wird, daß er sich in einer Heimsuchung befindet, tritt er unmittelbar in die "Phase zwei" ein, die, wenn auch von Individuum zu Individuum mit unterschiedlicher Intensität, immer als unangenehm empfunden wird: Häufig wird eine medikamentöse Ruhigstellung (0,6 mg Atropin subkut.) angezeigt sein, obwohl schon das Oneirin selbst nach seiner chemischen Klassifizierung als ZNS-Sedativum gelten muß.
Von der Paranoia, die unter Einwirkung der Droge häufig zu beobachten ist, läßt sich nichts Bemerkenswertes sagen. Wie bei anderen Arten von Paranoia handelt es sich auch hier um nicht weniger als den Auftakt, den ersten Schritt zu der Entdeckung, daß alles miteinander verknüpft ist, alles in der Schöpfung, eine sekundäre Erleuchtung - noch nicht blendend Eins, aber zumindest verknüpft, und so vielleicht ein Weg nach Innen für alle jene, die, wie Tschitscherin, am äußeren Rand festgehalten werden ... TSCHITSCHERINS HEIMSUCHUNG
Ob dieser Mann nun Nikolai Ripow ist oder nicht: jedenfalls tritt er so auf, wie man es von Ripow kolportiert: gewichtig und unausweichlich. Er will sich unterhalten, nichts weiter. Aber es ergibt sich, je tiefer sie sich in die Korridore der Wortverwirrungen verstricken, daß er Tschitscherin wieder und wieder dazu verleitet, Ketzereien zu äußern, sich selbst ans Messer zu
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