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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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Welt zu entdecken. Herauszufinden, daß es tatsächlich ein Ende gibt. Mein Bergenzian wußte es von jeher. Aber mich hat es so vieles gekostet.
    Amerika war der Rand der Welt. Eine Botschaft an Europa, groß wie ein Kontinent, unausweichlich. Europa hatte einen Ort gefunden für sein Königreich des Todes, für jenen besonderen Tod, den der Westen erfunden hatte. Bei den Wilden gab es Wüstenregionen, Kalaharis, oder Seen, die so neblig waren, daß man das jenseitige Ufer nicht erkennen konnte. Doch Europa verstrickte sich tiefer - in Obsession und Sucht, weit weg von aller heidnischen Unschuld. Amerika war ein Geschenk der unsichtbaren Mächte, eine Gelegenheit zur Umkehr. Doch Europa verschmähte sie. Es war nicht Europas Ursünde- deren jüngster Name die moderne Analyse ist -, aber es kommt vor, daß die Folgesünden schwerer abzubüßen sind. Nach Afrika, Asien, Amerindien, Ozeanien kam Europa und etablierte seine Ordnung aus Analyse und Tod. Was es nicht benutzen konnte, tötete oder verwandelte es. Mit der Zeit wurden die Todeskolonien stark genug, um abzufallen. Doch der Impuls zum Reich, die Mission, Tod zu propagieren, die Struktur des Unternehmens blieb erhalten. Jetzt erleben wir die letzte Phase. Der amerikanische Tod ist gekommen, Europa in Besitz zu nehmen. Er hat das Herrschen von seiner alten Metropolis gelernt. Aber uns ist nur die Struktur allein geblieben, keine der großen Regenbogenfedern, keine Beschläge aus Gold, keine epischen Märsche über Alkalimeere mehr. Die Wilden auf den anderen Kontinenten, korrumpiert, aber immer noch fähig zum Widerstand im Namen des Lebens, haben weiterexistiert, trotz allem ... während der Tod und Europa so getrennt sind wie stets, ihre Liebe noch immer unerfüllt. Der Tod ist nur Herrscher hier. Er hat sich nie, in Liebe, uns vereint... Ist der Kreislauf nun beendet und ein neuer bereit, zu beginnen? Wird unser neuer Rand der Welt, unser neues Todeskönigreich, der Mond sein? Ich träume von einer großen, gläsernen Kugel, hohl und sehr hoch und sehr weit entfernt... die Kolonisten haben gelernt, ohne Luft auszukommen, Vakuum herrscht innen und außen ... niemand nimmt an, daß die Männer je wieder zurückkehren werden ... es sind ausschließlich Männer. Zwar gibt es Wege, die zurückführen, doch sie sind so schwierig, so abhängig von der Sprache, daß die Anwesenheit auf der Erde nur vorübergehend sein kann, und niemals ... Reisen dort draußen sind gefährlich, die Möglichkeiten des Sturzes so schimmernd und tief... die Schwerkraft regiert den ganzen Weg, bis hinaus zu der kalten Kugel, immer besteht die Gefahr des Fal-lens. Die Handvoll Männer im Inneren der Kolonie wirkt vereist, fast durchscheinend, nicht lebendiger als Erinnerungen, un-berührbar ... nur noch ferne Bilder ihrer selbst, schwarz- weiße Filmbilder, körnig, versprödet nach so vielen Jahren im harten Frost, hier draußen in den weißen Breiten, in ihrer leeren Kolonie, in die es nur selten und unregelmäßig jemanden verschlägt, zufällige Besucher, wie mich... Ich wünschte, ich könnte das alles wiedergewinnen. Einst hatten diese Männer einen tragischen Tag zu bestehen - Aufstieg, Feuer, Scheitern, Blut. Die Ereignisse dieses Tages, so lange vergangen, haben sie für immer ins Exil verbannt... nein, sie waren nicht wirklich für den Raum geschaffen. Hier draußen träumten sie von Sturzflügen zwischen den Welten, vom Angezogen-, Eingefangen-, Festgehalten-, Weitergeschleudertwerden auf Bahnen, die sich durch das Leuchten, durch die Winternächte des Alls krümmten - sie träumten von Rendezvous, von kosmischen Trapezakten in der Einsamkeit, in steriler Grazie und der sicheren Gewißheit, daß sie nie jemand beobachten würde, daß jene, die sie liebten, für immer verloren waren ... Die Begegnungen, die sie erhofften, verfehlten sie stets, um Billionen dunkler Meilen, um Jahre von vereistem Schweigen. Aber ich wollte dich an die Geschichte erinnern. Ich entsinne mich, daß du mir früher Geschichten von unserem zukünftigen Leben auf dem Mond zugeflüstert hast, während ich einschlief ... bist du inzwischen darüber hinaus? Du bist viel älter geworden. Fühlst du in deinem Körper, wie sehr ich dich mit meinem Sterben infiziert habe? Es war mir bestimmt, das zu tun. Ich glaube, daß wir alle, wenn die Zeit gekommen ist, dazu bestimmt sind. Väter sind die Überträger des
    Todesvirus, und die Söhne sind die Infizierten ... und um die Ansteckung gewiß zu machen, hat der

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