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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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waagrecht ausgestreckten Armen, sein Kopf visiert mit einer wackelnden Bewegung über die Fingerspitzen, dann schnellen die Arme zusammen ... wenn man die Augen schließt und es gelernt hat, die Arme sich von selbst bewegen zu lassen, werden die Fingerspitzen, über zwei rechten Winkeln, genau zusammentreffen ... Geli beobachtet den winzigen Akt: er ist andächtig, voll Anmut, und Geli fühlt das Kreuz, das dieser Mann über seinen eigenen, sichtbaren Erdkreis geschlagen hat ... ein unbewußtes Mandala ... es ist ein Zeichen für sie. Er weist sie auf ihren Weg. Später am selben Abend sieht sie einen Adler, der über das Marschland fliegt, in der gleichen Richtung. Es ist golden-dunkel, fast schon Nacht. Die Gegend liegt verlassen, und Pan ist sehr nahe. Geli hat genügend Walpurgisnächte miterlebt, um damit klarzukommen - so glaubt sie. Aber was ist der blaue Teufelsbiß am Hintern, verglichen mit diesem Auswärts-Schrillen, in steinerne Resonanz, die weder Gut noch Böse kennt, hinaus in die leuchtenden

Räume, in die sie Pan entführen wird? Ist sie denn schon bereit für etwas derart Wirkliches? Der Mond ist über den Horizont gekrochen. Sie sitzt am selben Ort, wo sie den Adler gesehen hat, und wartet, wartet auf etwas, das kommen und sie besitzen soll. Hast du jemals darauf gewartet? dich gefragt, ob es von außen oder innen kommen würde? bis du endlich hinaus warst über das sinnlose Raten, was geschehen könnte ... hin und wieder nachradiertest auf deinem Hirn, um den Geist leer zu halten für den Besuch ... ja, war das nicht hier ganz in der Nähe? Erinnre dich, du hast dich aus dem Lager weggeschlichen, um einen Augenblick allein zu sein mit dem, was du über das Land vibrieren fühltest ... dem grünen Frühlingspunkt, der Tagundnachtgleiche ... aufbrechende Schluchten, gischtende Fumaro-len auf dem Grund, dampfendes tropisches Leben, wie Pflanzen in einem Treibhaus, geil, drogenduftend, eine Hülle aus Gerüchen ... das menschliche Bewußtsein, der arme Krüppel, das deformierte und verfluchte Ding wird gleich geboren werden. Hier ist die Welt kurz vor dem Menschen. Zu wild in stetem Strom ins Leben gepeitscht, als daß sie Menschenaugen je ertrügen. Sie sind dafür geschaffen, den toten Überrest zu sehen, verwest in stummen Schichten und verwandelt in Öl oder Kohle. Lebendig war's eine Bedrohung: es warn Titanen, war ein Überborden des Lebens, so schrill und wütend, eine so grüne Aureole um den Leib der Erde, daß ein Verheerer kommen mußte, sollte es die Schöpfung nicht zersprengen. So wurden wir, die verkrüppelten Hüter, ausgesandt, uns zu vermehren und zu herrschen. Gottes Verheerer. Wir. Die Konterrevolutionäre. Wir sind beauftragt, das Geschäft des Todes zu betreiben. In unserer Art, zu töten, in unserer Art, zu sterben, als einzigartige unter den Kreaturen. Es war etwas, an dem wir arbeiten mußten, historisch und als Individuen. Etwas, das wir aus dem Nichts entwickelten zu seinem heutigen Stand, eine Kette von Reaktionen, so stark fast wie das Leben selbst, den grünen Aufruhr niederhaltend. Aber nur fast so stark.
    Nur fast wegen der Zahl der Deserteure. Jeden Tag laufen einige auf die Seite der Titanen über, ihrer kämpferischen Schöpfung in der Schöpfung (und wie kann Fleisch so stürzen, so verströmen und doch von seiner Schönheit nichts verlieren?), in die Reste dessen, was der Tod aus den Volksliedern war (kahle, steinerne Kammern), hinaus, hindurch und unter das Netz hinab, immer tiefer in den Aufruhr. Unten regen sich mit harschem Echo die Titanen. Sie sind all jene Wesenheiten, die wir angeblich nicht sehen sollen - Götter der Hügel, der Winde, der Sonnenuntergänge, die wir uns aus den Sinnen schlagen, um uns nicht immer wieder nach ihnen umzuwenden, obwohl genug von uns das tun, ihre elektrischen Stimmen im Zwielicht am Rand der Städte hinter sich zurücklassen und in den allzeit offenen Mantel unserer nächtlichen Wanderungen tauchen bis Pan, plötzlich - im Sprung- ihr Gesicht zu schön, es zu ertragen, schöne Schlange, in Regenbogenwindungen über den Himmel geschlagen - hinein ins innerste Gebein der Angst -
    Geh nicht bei Nacht durchs leere Land nach Haus. Bleib weg vom Wald, wenn's dunkel wird, schon spät am Nachmittag -sonst wird es dich erwischen. Sitz nicht am Baum wie jetzt, die Wange an den Stamm gelehnt. In diesem Mondlicht kann man nicht mehr unterscheiden, ob du Mann bist oder Frau. Dein Haar fließt silbrig weiß. Dein Leib unter dem grauen

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