Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
Vom Netzwerk:
Tuch ist so exakt verwundbar, so preisgegeben der Erniedrigung, wieder und wieder. Was wird geschehen, wenn er erwacht und merkt, daß du nicht da bist? Er ist jetzt immer gleich, ob wachend oder schlafend - er verläßt den einen Traum nicht mehr, es gibt keinen Unterschied mehr zwischen den Welten: sie sind ihm eins geworden. Thanatz und Margherita waren vielleicht seine letzten Verbindungen zur alten. Das mag der Grund sein, weshalb sie so lange geblieben sind, es war seine Verzweiflung, er wollte sich festhalten, er brauchte sie ... doch wenn er sie jetzt anblickt, nimmt er sie oft gar nicht mehr wahr. Auch sie verlieren die Realität, die sie gebracht haben, so wie Gottfried die seine schon lange an Blicero verloren hat. Jetzt driftet er von einem Bild ins andere, von einem Raum in den nächsten, manchmal Teil der Handlung, manchmal ausgeschlossen ... was immer man ihm aufgibt, er wird es tun. Der Tag hat seine Logik, seine Erfordernisse, es gibt für Gottfried keine Möglichkeit, ihn zu verändern, zu verlassen, außerhalb zu leben. Er ist hilflos, er ist sicher verwahrt.
    Es ist nur noch eine Frage von Wochen, bis alles vorbei sein, bis Deutschland den Krieg verloren haben wird. Der Dienst geht unverändert weiter. Was jenseits der endgültigen Kapitulation sein wird, vermag sich der Junge nicht vorzustellen. Wenn er und Blicero getrennt werden sollten, was wird geschehen mit dem Fluß der Tage? Wird Blicero sterben nein bitte, mach, daß er nicht stirbt... (Aber er wird.) "Du wirst mich überleben", sagt er mit leiser Stimme. Gottfried kniet zu seinen Füßen, er trägt das Hundehalsband. Beide sind in Uniform. Es ist schon lange her, daß sich einer von ihnen als Frau verkleidet hat. Heute abend ist es wichtig, daß sie beide Männer sind. "Ah, du bist so schmuck, du kleiner Bastard... "
    Es ist wieder nur ein Spiel, nicht wahr, ein neuer Vorwand für die Peitsche? Gottfried schweigt. Wenn Blicero eine Antwort will, dann sagt er es. Es kommt häufig vor, daß er nur reden möchte, und das kann Stunden dauern. Keiner hat bisher je zu Gottfried gesprochen, nicht auf diese Weise. Sein Vater gab nur Befehle von sich, Sentenzen, platte Meinung. Seine Mutter war emotional, eine große Woge aus Liebe, Enttäuschung und versteckten Ängsten überschwemmte ihn aus ihr, aber miteinander gesprochen haben sie eigentlich nie. Das hier ist soviel mehr, so mehr-als-wirklich ... er fühlt, daß er jedes Wort behalten muß, daß kein einziges verlorengehen darf. Bliceros Worte sind etwas Kostbares geworden für ihn. Er begreift, daß Blicero etwas geben möchte, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, daß er hingeben möchte, was er liebt. Er glaubt, daß er noch existiert für Blicero, auch wenn es alle anderen nicht mehr tun, daß in dem neuen Königreich, das sie jetzt durchqueren, er neben Blicero der einzige lebende Bewohner ist. War es das, wovon er genommen, in das er hineingenommen zu werden erwartet hatte? Bliceros Samen, der in den vergifteten Kot seiner Eingeweide spritzt... natürlich ist er verschwendet, ja, nutzlos ... aber ... wie Mann und Frau, wenn sie sich paaren, geschüttelt bis in ihre Zähne bei der Annäherung an das Tor des Lebens... hat so nicht auch er mehr empfunden, andächtig mehr als nur die Begleiterscheinungen des Eindringens, ihr Stil, ihre Gewandung aus leidenschaftsloser Schinderei, die pure Hülle, die vergänglich ist wie die Haut einer Schlange, die gewohnten Handschellen und Ketten, Symbole einer Knechtschaft, die er in Wahrheit in seinem Herzen fühlt... alles unwichtig geworden, Theater, da er sich dem Tor jenes anderen Königreichs näherte, die riesigen weißen Mäuler in sich fühlte, ausdruckslose Bestien, weiß gefroren, die ihn wegstießen, sein armseliges Gehör zu schwach für das Summen des Geheimnisses hinter Kruste und Mantel... es muß auch sie geben, Liebende, deren Genitalien der Scheiße geweiht sind, dem Ende, den verzweifelten Straßennächten, wenn sich außerhalb aller eigenen Kontrolle die Verbindungen knüpfen oder verfehlen, eine Vereinigung von Gefallenen - in Akten des Todes so viele wie in Akten des Lebens - oder eine Verurteilung zu einer weiteren Nacht des Alleinseins ... Müssen sie wirklich geleugnet werden, übergangen, sie alle? Das einzige, was Gottfried, nach innen genommen wieder und wieder, bei seinen Annäherungen versuchen kann, ist, sich offen zu halten, den Schließmuskel seiner Seele zu lockern ...
    "Und manchmal träume ich davon, den Rand der

Weitere Kostenlose Bücher