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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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vor unserer Nase baumeln, aber wir haben nicht die Sinne, ihn zu sehen... Doch wenn die Lösung in der Luft liegt, hier und jetzt, in dieser Luft, dann müssen ihr die Raketen folgen. Zu hundert Prozent, ohne Ausnahme. Wenn wir die Lösung finden, haben wir einen weiteren Beweis für den unausweichlichen Determinismus, dem alle Dinge und alle Seelen unterworfen sind. Für so etwas wie Hoffnung wird dann verdammt wenig Raum bleiben. Man sieht, wie bedeutsam solch eine Entdeckung wäre.
    Sie gehen die schneeüberwehte Reihe der Hundezwinger entlang, Pointsman in Glastonburys und seinem rehfarbenen British Warm, Roger mit dem Schal, den Jessica kürzlich gestrickt hat, eine landeinwärts wehende scharlachrote Drachenzunge -der kälteste Tag dieses Winters bis jetzt, 13 Grad unter Null. Hinunter zu den Klippen, frostprickelnde Gesichter, zum menschenleeren Strand. Wellen branden heran und gleiten davon, lassen wachsende dünne Eishäute zurück, die im schwachen Sonnenlicht glitzern. Knirschend brechen die Stiefel der beiden Männer durch auf Kies und Sand. Der letzte Bodensatz des Jahres. Sie können
    Geschützdonner aus Flandern hören heute, vom Wind die weite Strecke über den Kanal getragen. Die Ruinen der Abtei stehen grau und kristallklar oben auf dem Kliff. Letzte Nacht hatte sich Jessica, in dem Haus am Rande der verbotenen Stadt, ganz fest an ihn geschmiegt und, als sie gerade in den Schlaf fallen wollten, geflüstert: "Roger ... was ist mit den Mädchen?" Sonst nichts. Aber es schreckte ihn auf. Und trotz seiner lähmenden Müdigkeit hatte er noch eine volle Stunde im Dunkeln wachgelegen, vor sich hingestarrt und über die Mädchen nachgedacht. Jetzt, im Gefühl, es loswerden zu müssen: "Pointsman, was ist, wenn Edwin Treacle recht hat? Wenn es sich um PK handelt? Was wäre, wenn Slothrop die Raketen dazu brächte, vielleicht nicht mal bewußt, dort runterzufallen, wo sie fallen?" "Naja. Für euch war's ein gefundenes Fressen, oder?"
    "Aber .... warum sollte er? Wenn sie immer dort runterkommen, wo er gewesen ist -"
    "Vielleicht haßt er Frauen."
    "Quatsch, ich meine es ernst."
    "Mexico! Macht Ihnen das wirklich ernsthaft Sorgen?"
    "Ich weiß nicht recht. Vielleicht frage ich mich, ob es am Ende doch mit Ihrer ultraparadoxen Phase zusammenhängt. Vielleicht ... will ich auch wissen, wonach Sie in Wirklichkeit suchen."
    Über ihren Köpfen pulst eine Kette von B-17-Bombern vorüber, unterwegs zu einem ungewohnten Ziel, weit außerhalb der üblichen Flugkorridore. Hinter den Fliegenden Festungen sind die Unterseiten der kalten Wolken blau, ihre sanften Wogen blau geädert - an anderen Stellen schwach rosa oder purpurn angegraut ... Unter den Tragflächen und Leitwerken der Flugzeuge hängen dunkelgraue Schatten, die sich um die Wölbungen der Rümpfe und der Triebwerksgondeln fiederig aufhellen. Aus dem runden Dunkel der Kühlerverkleidungen ragen die Schraubenspinner hervor, die rotierenden Propeller selbst sind unsichtbar. Das Himmelslicht verleiht den ungeschützten Oberflächen einen uniformen, grauen Glanz. Majestätisch dröhnen die Maschinen über ihren Tiefflughimmel, sprühen Frost von sich, säen weiße Eisfurchen in die Luft, während ihre eigenen Farben den Schattierungen der Wolken gleichen, samtiges Schwarz die winzigen Öffnungen der Fenster ausschlägt, die Plexiglaskanzel endlos verzerrte Sonnen- und Wolkenbilder spiegelt. Innen ist sie schwarzer Obsidian.
    Pointsman spricht noch immer über Paranoia und den "Begriff des Gegensatzes". Überall im heiligen Buch hat er Ausrufungszeichen und wie wahrst an die Ränder von Pawlows offenem Brief an Janet über die sentiments d'emprise und von Kapitel LV, "Versuch einer physiologischen Interpretation von Wahnvorstellungen und Paranoia" gekritzelt - eine kleine Rücksichtslosigkeit, die er sich nicht verkneifen konnte, auch wenn die Sieben Besitzer übereingekommen waren, keinerlei Randbemerkungen ins Buch zu schreiben es war für so was viel zu wertvoll, jeder hatte eine volle Guinee dafür einbezahlt. Klammheimlich und im Finstern hatte Pointsman es erstanden, mitten in einem Luftangriff (der größte Teil der Auflage war schon zu Beginn der Battle of Britain, noch im Lagerhaus, vernichtet worden) und ohne das Gesicht des Verkäufers zu erkennen, der im kakophonen Morgengrau der Entwarnung untertauchte, während Pointsman mit seiner Beute zurückblieb und das stumme Bündel in seiner verkrampften Faust allmählich heiß wurde und feucht... ja, es

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