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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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sehen. Aber so ist es wohl: Je ferner die Zentren, desto geringer wird das Lebenstempo.
    Zwei Tage später senkt sich die kleine Maschine hinab zum Eiland ’Eua. Der Pilot setzt im Gras neben der Landebahn auf, dort ist es sicherer als auf der zerschundenen Piste. Die Wege, die zwischen den Hütten in die Palmhaine führen, sind von leuchtendem Zinnoberrot. Manchmal zerreiben die Frauen etwas von dieser Erde in ihrem Waschwasser und tönen sich so ihr Haar.
    Dass wir uns Douglas’ Elternhaus nähern, erkennen wir an den violetten Schärpen um die weißgestrichenen Holzhäuser, so umwunden hat man sie zum Zeichen der Trauer um die Schwester des Großvaters.
    »Jenseits der achtzig, war sie, glaube ich«, sagt Douglas.
    Das Alter ist keine Kategorie, unter die er Menschen fasst. Die Greisin unter den Trauernden ist Douglas’ Mutter mit dem von Entbehrung fein gezeichneten Gesicht, ihren Umhang schmücken blau-gelbe Blumenmuster. Eine Hammondorgel dudelt aus dem Radio. Alle Häuser auf dieser Wiese wurden leergeräumt und mit Matten ausgelegt, auf denen man eingeflochtene Pfauen sieht oder Kaffeekannen oder Rombenmuster.
    Die Frauen sitzen im Kreis und bereiten immer noch die Beerdigung vor. Sogar die Klageweiber selbst sind in Bastmatten gehüllt, in denen sie aussehen wie Vogelscheuchen oder Weihnachtsfiguren aus dem Riesengebirge. Douglas’ Mutter setzt mir Tapioka auf Pandanusblättern vor, daneben ein Häufchen kleingeschnittenes Rindfleisch samt Fett, Knorpeln und Knochen:
    »Now say your prayer and eat.«
    Ich falte die Hände unter den niedergeschlagenen Augen. Das Fleisch hat einen teigigen Zellgeschmack, im Radio läuft jetzt Country Music. Mein Blick geht zur rückwärtigen Tür hinaus, wo hinter dem Haus die offene Feuerstelle liegt, bei einem Haufen Kokosschalen, im Kreise weiterer Polstermöbel. Ab heute Nachmittag wird Radiomusik nicht mehr erlaubt sein. Dann singt man gemeinsam geistliche Chöre, und zwar die ganze Nacht durch, bis zehn Uhr früh. So lange müssen die Familienmitglieder der toten Großtante die Feuerstelle bewachen, während sich die anderen die guten Geschichten aus dem Leben der Verstorbenen erzählen. Ein junges Mädchen mit sehr tiefer Stimme hat eben damit begonnen.
    Ich setze mich ins Freie. Von den Stufen einer Gästebaracke aus sehe ich den schwarzen und gefleckten Schweinen zu. Ein Junge schabt das Innere von Kokosnüssen zu Raspeln, schmale Hunde mit narbigen Gesichtern hecheln im Gras, die Frauenstimmen meckern, eine Alte kommt singend durch den dünnen Regen, dann schlürft sie ihren Rotz hoch und verweilt kurz unter dem flachen grünen Schirm der Mangobäume.
    Eine Stunde später hat Douglas seinen schwerfälligen Cousin »Winter« mobilisiert, samt dem Familienauto. Aus dem Handschuhfach dringt der Duft der Vanilleschoten, der grünen und der gefleckten schwarzbraunen. Der Duftbaum am Rückspiegel kommt gegen ihr Aroma nicht an.
    Douglas sagt dauernd dasselbe:
    »Sieh die vielen Kokosnüsse! Sieh, wie gut der Boden ist! Wir haben Mangos, jede Menge, wir verfüttern die Mangos schon an die Schweine. Wir brauchen Geld nur für Strom und Wasser und für die Schulbücher der Kinder, der Rest wächst dir in den Mund. Schau, wie viel Kava, so viel Kava haben wir in Nuku’alofa nicht gesehen.«
    In das schüttere Dickicht der Kokospalmen, Mangobäume, des Wildwuchses und Unterholzes wurden einzelne Parzellen geschnitten, auf denen die Vanille- oder Kava-Sträucher dicht stehen, in das Gestrüpp gefrästes Nutzland, das sich die Natur mit wuchernden Büschen und ausgestreckten Zweigen von allen Seiten zurückholen möchte.
    Dann steigen wir auf eine Klippe hoch über dem Meer. Gut fünf Meter vom Abgrund entfernt hält sich Douglas und will auch mich immerzu an der Schulter zurückreißen. Tief unter uns kreisen die Vögel vor der Felswand, und zwischen den schwarzen Vulkanbrocken schäumt die Gischt.
    »Mir wird schnell schwindlig. Setze ich mir im Wasser eine Taucherbrille auf und sehe runter zum Grund, schon wird mir schwindlig.«
    Der kolossale Mann ist jetzt ganz zart. Wir steigen weiter. Die Kuppen liegen rund und begrast, das Land schweift im lässigen Faltenwurf abwärts. Es gab hier auf dem schönsten Punkt der Insel, hoch über der Küste, wo man ganz allein ist im Wind, einen deutschen Freund des alten, des dicken Königs von Tonga. Dieser rätselhafte Deutsche baute sein Haus in der vollendeten Einöde, isoliert von allen, und wollte Schweine züchten.
    Nach ein

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