Die Enden der Welt
kauern, so dass die Schaluppe tief im Wasser liegt und einer von der Besatzung immer schöpfen muss.
Auch die Tongaer haben ihr Stonehenge, ein Alpha-Zeichen aus Vulkangestein. Man geht durch ein Tor, gelangt zu einer hohen Steintafel, in deren Schatten einer der alten Könige, ein Mann von 2 Meter 50 , gelehnt haben soll, wie sein Körperabdruck im Stein noch beweist, und dahinter geht es in einen dichten dunklen Wald mit Spinnennetzen und fremden Blumen, weiter dem Meer zu, das man nur hört, nicht sieht. Leah schreitet beklommen diesen Weg hinab und dreht früh um.
»Es spukt«, sagt sie.
»Das sind die Verwandten«, flüstert Douglas.
Und hat sie nicht allen Grund, Angst zu haben? Hat man in solchen Fällen nicht schon von Körperstrafen, Verstümmelungen, Gefangenschaft gehört? Die Verletzung der Tabus verlangt nach Ahndung, sonst hieße es nicht Tabu.
Wir kehren um. Die Blicke stumpfen über dem Auslaufen der Wellen ab. Auf dem Kiesweg zu ihrem Hotel dreht sich Leah noch einmal um, als wolle sie etwas sagen. Dann hat sie es sich anders überlegt.
Als es ein paar Stunden später dämmert, gehen vier gewaltige Frauen den Fußweg unweit meines Zimmers herunter, sehen mich am Fenster stehen und winken, ich winke zurück. Eine macht eine Geste, ich solle zu ihnen kommen. Ich schüttele den Kopf, da geht sie in die Hocke und reitet wie auf einem Kutschbock. Früher haben sich die Frauen den Fremden für ein paar rostige Nägel angeboten, und die Matrosen rühmten ihre Unermüdlichkeit. Selbst der Kollaps des Charmes in der Vulgarität ist eigentlich liebenswürdig.
1803 landete der Geschäftsmann John Turnbull auf der Insel ’Eua. Die Einheimischen hatten wenig zu bieten bis auf Nahrungsmittel und ein bisschen Werkzeug, verlangten für ihren Plunder aber wertvolle Geräte wie Scheren und Äxte. Als die Engländer ablehnten, brachten die Einheimischen drei Frauen an Bord, deren Dienste sie der Mannschaft verkaufen wollten, offenbar Kriegsgefangene und die schönsten Frauen, die sie anbieten konnten. Aber Turnbull nennt sie »stämmig, maskulin und von harten Zügen«, und keiner der Matrosen wollte sich mit ihnen einlassen, was die Einheimischen, die sie von weither angeschleppt hatten, fassungslos zurückließ.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Europäer vor allem am Handel mit China interessiert. Allerdings besaßen sie wenig, was die Chinesen interessierte, mit Ausnahme der Pelze und des Walfetts, das neben allerlei Abfallprodukten des Meeressäugers in China starken Absatz fand. So dehnten die Europäer ihre Walfanggebiete bis nach Polynesien aus, was wiederum zu erbitterten, oft betrügerisch und gewaltsam geführten Handelskonflikten mit den einheimischen Walfängern führte und das Verhältnis zwischen den Insulanern und den Fremden vergiftete. Nimmt man hinzu, dass gleichzeitig eine beispiellose Bewegung der Christianisierung den südpazifischen Raum erreichte, so kann man sich die Verwirrung der Polynesier vorstellen: Wer war der westliche Mensch denn nun wirklich, der skrupellose Walfänger und Ausbeuter oder der zur Liebe und Mitmenschlichkeit aufrufende Menschenfischer?
Und mehr noch, gerade der Umstand, dass Kapitän Cook die Einwohner Tongas als friedliebend, freundlich und hilfsbereit charakterisierte, dass er vom Reichtum der Naturprodukte geschrieben hatte und sich nun die Anwesenheit der Missionare dort allgemein herumsprach, führte dazu, dass die Walfänger nun bevorzugt ausgerechnet Tonga ansteuerten und sich die Krisen verschärften.
Außerdem schleppten die Europäer Infektionskrankheiten ins Land, und da bald auch Sklavenhändler ihren Weg nach Polynesien fanden, erwies sich die Ankunft des weißen Mannes einmal mehr als Desaster für die einheimische Kultur. Doch gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb ist Tonga der einzige Staat Ozeaniens, der von den Europäern nie kolonialisiert wurde.
»Wahrlich!«, so rief schon Georg Forster aus, der James Cook auf seiner zweiten Reise in den südpazifischen Ozean begleitete, »wenn die Wissenschaft und Gelehrsamkeit einzelner Menschen auf Kosten der Glückseligkeit ganzer Nationen erkauft werden muss; so wär’ es für die Entdecker und Entdeckten besser, dass die Südsee den unruhigen Europäern ewig unbekannt geblieben wäre!«
Manchmal blickt die Idylle auf einen Parkplatz. Vom »Beach Café« aus ist es wirklich so: Allmorgendlich legen am Hafen die Maniok-Verkäufer ihre erdigen Wurzeln auf das Tuch, löchern Kokosnüsse, stellen
Weitere Kostenlose Bücher