Die Enden der Welt
Beschäftigung zu, so, wie sie selbstvergessen den Tod in die Welt krakeelte.
Als eine unmittelbare Ableitung davon war Hannes alles Kreatürliche kostbar. Er traute einfach dem Körper in seinen spontanen Lebensäußerungen mehr als der Moral. Dem Sex, dem Kotzen, Kacken, Pissen, Husten, Furzen, Erröten, Eregieren schrieb er eine gewisse Lesbarkeit zu, Blut, Samen, Säfte, alles teilte sich mit, Lebensäußerungen im Wortsinn, das waren sie.
Dann habe ich mich eines Tages angeschickt, für ein halbes Jahr nach Südostasien zu reisen, und auch Sulawesi, das alte Celebes, wie die Insel noch hieß, als man auch »Batavia« zu »Jakarta« sagte und »Ujung Pandang« zu »Makassar«, stand auf meinem Routenplan. Ich verabschiedete mich von Hannes, der sich von seinem mit Totenkopf-Netsukes bedeckten Schreibtisch erhob, sich umarmen und küssen ließ, und empfing dafür seinen Rat:
»Wenn du wirklich bis nach Sulawesi kommst, dann reise unbedingt ins Toraja-Land, die Gegend von Rantepao! Du wirst die berühmten Pfahlbauten mit ihren buntbemalten Satteldächern sehen, und wenn du kannst, dann besuche eine Totenfeier. Sie zelebrieren dort ein paar der originellsten Totenkulte der ganzen Welt.«
Ja, ich hatte gehört von diesen hochbeinigen Pfahlbauten, geschwungenen, ganz ohne Nägel gebauten Wohnschiffen mit den Bambusdächern, den gemalten Friesen auf den Giebeln, den Schnitzarbeiten, den Büffelschädeln an der Fassade, den Reisspeichern gegenüber. Fabelhafte Leute waren diese Toraja, einem kambodschanischen Seefahrergeschlecht entsprungen, vor den muslimischen Kriegern an der Küste ins Landesinnere der orchideenförmigen Insel geflohen und dort in unwegsamen Tälern heimisch geworden. Sie waren zwischen alle Religionen gefallen. Im Wesentlichen animistisch und vom Fortleben der Toten am alten Lebensort überzeugt, nahmen sie muslimische Elemente in ihre Glaubenspraxis auf, und, als die ersten Missionare kamen, gleichermaßen christliche.
Den weiten Weg von Ujung Pandang, der Hauptstadt von Sulawesi, ins Hochland von Tana Toraja habe ich zum guten Teil auf dem Dach eines öffentlichen Busses zurückgelegt, zwischen den Gepäckstücken, zwei Käfigen mit wertvollen Truthähnen und drei Karten spielenden Jungen, die ihr Interesse an mir bald verloren, weil wir keine Sprache finden konnten. Nur mit Michael, einem ernsten Studenten, den eine Familienfeier nach Hause führte, kam ich ganz flüssig ins Gespräch.
»Was hat Sie hierher verschlagen?«, fragte er.
»Die Lust zu verschwinden.«
»Und, gelingt es Ihnen?«
»Wie einem Schatten.«
»Aber der Schatten schneidet keinen Stein.«
Das war eine seltsame Art, sich zu unterhalten, und so ging es immer weiter. Ganz weltläufig verabschiedete er mich, als ich an der ersten Haltestelle auf dem Boden des Toraja-Gebietes vom Dach des Busses kletterte, um irgendwo unterzukommen. Ich war kurz vor einem Sonnenstich, und der Sonnenbrand, den ich mir auf diesem Dach zugezogen hatte, hielt mich über die nächsten zwei Tage in einem Losmen, einem dieser familiären Gasthäuser Indonesiens, im Fieber fest.
Im festen Entschluss, tiefer in die dörfliche Provinz einzudringen, machte ich mich am dritten Tag zu Fuß auf. Die Reisfelder glitzerten, dass es den Augen weh tat, das frische Grün der Setzlinge war lebendig, weil immer ein Lufthauch durch die Gräser ging und die monochrome Fläche belebte. Nirgends zeigt die Landschaft mehr als hier die elegante Asymmetrie Südostasiens, und ich zog, mal wandernd, mal von Dorf zu Dorf trampend, tiefer und tiefer in das bäuerliche Leben hinein.
An einem Abend aber hatte ich mitten in einem engen, von Gräsern zu beiden Seiten zugewucherten Hohlweg eine Erscheinung: Das unwahrscheinlichste aller Fahrzeuge stand reglos wie ein weißer Büffel mitten auf dem Scheitelpunkt des Feldwegs – eine Limousine. Der indonesische Fahrer mit beiden Händen auf dem Lenkrad und aufgerissenen Augen trug auch tatsächlich eine Livree, und auch er war wie erstarrt, vielleicht weil mein Anblick in der Senke dieses Weges ähnlich überraschend auf ihn wirkte wie er auf mich in seinem Ufo.
Ich näherte mich dem Wagen, als auf der Hälfte der Strecke die Tür im Fond aufging, ohne dass sonst etwas zu hören und zu sehen gewesen wäre. Auch wandte der Fahrer nur seinen Kopf nach mir, machte aber keinerlei Zeichen. Als ich mich schließlich zur geöffneten Tür hinabbeugte, erblickte ich im Inneren einen schmalen, elegisch hingeräkelten Amerikaner im
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