Die Enden der Welt
wieder gewarnt …«
»Wovor?«
»In der Nacht ist die Princess Ashika auf der Strecke nach Ha’afeva gesunken, weniger als einen Monat, nachdem sie ihren Dienst aufgenommen hat. 54 Menschen hat man bergen können, 87 werden noch vermisst, aber es werden stündlich mehr. Wer ist hier schon im Besitz eines regulären Tickets, wer wird schon registriert?«
»Und die Ursache?«
»Die Polizei verhält sich ganz professionell, keine voreiligen Schlüsse und Verlautbarungen. Angeblich war das Schiff nicht mal hochseetauglich. Wer unter Deck schlief, ist ertrunken. Die Leichen hat man noch nicht bergen können. Aber die Männer an der Reling und die Raucher dürften die Einzigen sein, die überlebt haben. Haben Sie denn gar nichts davon mitbekommen?«
Ich sage ihr, dass ich bei der Beerdigung von Douglas’ Großtante auf ’Eua war, aber ursprünglich selbst mit der Princess Ashika nach Ha’afeva hatte reisen wollen.
»So sind die Geschichten in dieser Gegend«, sagt Kerry. »Du verpasst deinen eigenen Tod, weil du stattdessen auf der Beerdigung eines anderen bist.«
In den nächsten Tagen wird die Zahl der Toten auf hundertzwanzig ansteigen, und die Behörden werden öffentlich fragen, wie es möglich sei, dass sich so viele nicht registrierte Passagiere an Bord befunden hätten.
Es war wie überall: Man hatte ein Ereignis und suchte einen Zugang zur Moral, suchte Verantwortliche, Schuldige, man drehte jeden Stein um, stocherte in jedem Misthaufen. Der König vernimmt die Katastrophennachricht, bedauert und bricht Stunden später in die Ferien nach Schottland auf. Die Demokratiebewegung geht sogleich auf die Straße, protestiert laut und sagt wieder, was sie seit Jahren sagt, jetzt sei es endlich Zeit für die Monarchie, abzudanken:
»Einen solchen König brauchen wir nicht.«
Auf der Straße zum Flughafen aber thront unverändert ein Plakat mit seinem Bild und der Zeile: »King George Tupou V. – Icon to the world …«
»Wann brechen Sie auf?«, will Kerry wissen.
»Montag. Eineinhalb Stunden Aufenthalt in Sydney, dann über Singapur …«
»Sie wollen eineinhalb Stunden nach Ihrer Ankunft in Sydney einen Flug nach Europa bekommen? Das vergessen Sie mal lieber. Diese Maschinen hier sind nie pünktlich. Der Wind treibt sie weg, sie heben erst gar nicht ab oder können nicht landen und warten irgendwo, oder sie fliegen eine andere Insel an und warten dort …«
»Das heißt?«
»Hauen Sie ab, so schnell Sie können. Jetzt strömen schon die Leute vom Roten Kreuz auf die Insel. Die Ärzte, die Journalisten, die Angehörigen vom Festland. Wer weiß, wann man hier überhaupt wieder weg kann.«
Ich ergattere einen Platz auf der späten Maschine nach Auckland am nächsten Abend, Tage vor meiner geplanten Abreise. In einer hinteren Halle des Flughafens stapeln sich die Särge. Menschen in Bastmatten nehmen sie ernst in Empfang und beugen sich über die Gehäuse, als seien sie die von den Seelen verlassenen Körper.
In Auckland checke ich weit nach Mitternacht im erstbesten Hotel am Hafen ein. In dem Transistorradio auf der Theke des Nachtportiers deklamiert eine Stimme den lokalen Wetterbericht: »Clouded skies with occasional rains, heavy winds up and single thunderstorms on all Tongan coasts.«
Toraja
Unter Toten
Mein Freund Hannes war ein kleingewachsener Beau mit stattlichem Schädel, dichtem, nach hinten gestriegeltem Schwarzhaar und einem Totenkopf auf dem Ring. Mehr noch als mein Freund war er mein Mentor, der manchmal nuschelnd Monologe über die Todesdarstellungen an mexikanischen Kalvarienbergen, über die Mumiengewölbe von Palermo oder über den nekrophilen Holzschneider Posada und seine Totentänze hielt. Wo immer er sie fand, in der Folklore, im Kunstgewerbe, in der Sepulkralskulptur, auf Glanzbildern oder im Jahrhundertwende-Kitsch, überall sammelte Hannes Todesdarstellungen.
Seine gesamte Wohnung, ein Altbau mit verschlungenen Korridoren, ein wahrer »Bau« also, war mit Skeletten bevölkert, grinsenden, tanzenden, reitenden, grabenden, Wache haltenden, kopulierenden, immer grotesken Knochenmännern mit großen, vorwurfsvollen Augenhöhlen. Freunde und Besucher hatten so ihre Meinungen zu der Sammelleidenschaft, die dies zusammengetragen hatte. Doch wie Hannes war, interessierte er sich wenig für die Theorie, er objektiviere hier nur seine eigene Angst – er interessierte sich überhaupt nicht besonders für sich selbst –, vielmehr sah er der Menschenphantasie bei ihrer
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