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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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gegangen! Können Sie sich das vorstellen?«
    Hinter ihnen schnappten Türen, und oben
im Studio knallte endlich ein Scheinwerfer. Vera Alberts Salatölgeruch wurde
berauschend stark.
    »Und wissen Sie, Verna, was an jenem
Tag geschehen ist? Im Grunde war es schon Abend, aber ich habe Sie in Brainonia gesehen. Und dazu mein Name — Vera Albert. Sehen Sie, ich hatte mich verhört.
Aber kein Irrtum ist ein Irrtum, sagt Freud. Es war dann auch egal, wie Sie
hießen, für mich sind Sie zum Instrument der Wendung meines Lebens geworden.
Das Operationsbesteck des Schicksals. Vera, habe ich mir gesagt, sie hat das geschafft.
Dann kannst auch du es schaffen!«
    »Was?« sagte Verna ehrlich verwirrt.
    »Ich werde«, sagte Vera Albert, »eine
Show haben. Das wurde mir damals klar. Vera Albert wird eine Show haben und
Kandidaten, ich werde das Elementarteilchen mit der schärfsten Drehung sein.
Das Teilchen mit Spin eins. Der Pfeil. Kein Punkt wie die Teilchen mit Spin
Null. Die Eins — nicht die Null, das sage ich mir jeden Tag.«
    Ein beseligtes Lächeln schwappte über
ihr Gesicht, dann aber runzelte Vera Albert die Brauen.
    »Doch wenn das Wörtchen wenn nicht wär!
Vera Albert, Verna Albrecht, verstehen Sie? Das Teilchen und sein
Gegenteilchen.«
    Das Ekzem griff an, bekam Flügel und
legte sich auf Vernas verängstigtes Gesicht. Schon jetzt hatte sie ein
klebriges Gefühl über den Augenbrauen. Das Teilchen, dachte sie, das
Gegenteilchen, da hat Manasse wieder einen Glücksgriff getan. Mit einer
flüchtigen Bewegung prüfte sie ihre Stirn und hoffte, daß der Ausschlag nicht
ansteckend war. Über die Treppe strömte das Publikum in den Zuschauerraum.
Gleich sieben. In der Tür würde Manasse erscheinen, um sie vor Vera Albert und
ihrem unduldsamen Hang zum Elementaren zu retten. Schon hörte sie seine
Schritte. Schweiß brach ihr aus, der das Make-up wegschwemmen würde, bis
darunter rötliche Flecken zum Vorschein kämen. Das Scheußliche, das lange schon
in ihr schlummerte. Vernas Kiefer begannen zu arbeiten, um die Furcht
abzuwehren, die auf einen schwachen Moment lauerte. Bestimmt wird der
Frühling, sagte Anne Sexton, einem splitternackten Mädchen erlauben,
sich leicht im Sonnenlicht zu drehen und sich vor ihrem Bett nicht zu fürchten. Das splitternackte Mädchen hatte Vernas und Alices Gesicht. Verna sah hinunter
auf ihre zitternden Hände. Alice, rief ihre Mutter, sag deiner Schwester, daß
sie sich zusammenreißen soll!
    Gedämpfte Schritte auf dem Teppich.
    »Teilchen und Gegenteilchen«, sagte
Vera Albert, »nur, wenn sie sich berühren, vernichten sie sich eben
gegenseitig!« Ihr Tonfall war verschwörerisch. »Also«, flüsterte sie, »Verna,
fassen Sie mich besser nicht an.«
    Teilchen, Gegenteilchen, Vernichtung.
So war das also mit Izzy und ihr gewesen, zwei Seiten, eine Medaille. Ich bin
ganz ruhig. Meine Arme sind locker. Meine Schultern sind warm. Meine Knie sind
locker, meine Beine sind warm. Ich stehe im Flur unter dem Studio. Neben mir
steht eine Verrückte. Ich bin ganz gesund. Ich habe nur eine Panikattacke. Ich
höre Schritte. Es wird Manasse sein.
    »Na«, sagte Vera Albert, »hoffentlich
täuscht sich die Quantenmechanik da mal.«
    Im Spiegel sah Verna ihre beiden
Gesichter. Zwei brüchige Gesichter, die sich morgens mit Nardenöl salbten, dem
kostbaren Öl, das man für Begräbnisvorbereitungen verwendete.
    »Selbstredend«, sagte Vera Albert, »hat
keiner wirklich die Absicht, Sie in Ihrer eigenen Show zu vernichten, meine
Liebe.« Gelächter, die Nasiräer lachten, sie waren ausgesondert, für Gott, für Brainonia ?
Soprangelächter wie ein Springbrunnen. Verna hoffte, daß Kavo käme. Dies, würde
sie sagen, ist Vera Albert, der Schmetterling. Vera, die Nasiräerin. Sie ist
ein Showtalent, von Gott gesandt, um Brainonia zu übernehmen. Denn Vera
weiß alles über Elementarteilchen. Vera, der Witwenbuckel, viel Spaß, ihr
beiden. Per Verna ad Vera! Es würde einer der seltenen Momente sein, in denen
Kavo die geräuschvolle Umwelt übermannte, und er würde wie die Umwelt sein und
schreien.
    »Ist Ihnen was, Verna, ist Ihnen nicht
gut?« hörte sie die Lehrerinnenstimme. »Sagen Sie bloß, Sie haben
Lampenfieber.«
    Verna wollte sich an Manasse
festhalten, bis diese gräßliche, falterhafte Frau vom Erdboden verschluckt war.
Schon spürte sie seinen Atem im Genick. Aber im Umdrehen hatte Verna eine
Erscheinung, und die Erscheinung lächelte nicht, sondern stand stocksteif und
wie erschossen

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