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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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Ich
mag es nicht, auf bloßen Füßen über den Boden zu gehen und Gesichter bohren
sich wie Dornen in meine Sohlen. »Ach«, sagte sie laut, »ein Gedicht.«
    »Das ist ja mal... romantisch«, sagte
Annett mit blanken Augen, die von Vernas Gesicht abglitten, weil es fleischlos
und elfenbeinern war, unter der Erde, unter dem schwarzen Mann, der es geküßt
hatte. Annett schielte, bis sie den Barmann hinter Verna sehen konnte, er
kannte auch Gedichte, denn er zwinkerte ihr komplizenhaft zu.
    »Ein Gedicht! Da können Sie von Glück
sagen, Alakar«, sagte Kavo, »einer wie Sie schöpft natürlich aus dem vollen.
Wir Normalsterblichen sind ja leider auf unsere eigene, magere Phantasie
angewiesen!«
    Mister Hu lächelte die sich öffnende
Tür an, in der plötzlich ein dickes Phantom stand in einem limettenfarbenen, zu
engen Kleid. Als spüre er den Luftzug, richtete sich Alakar Macody auf, während
die Frau über die Schwelle schlitterte und die Schwingtür ihr beinah in den
Rücken schlug. Die ehemalige Kandidatin Vera Albert zündete einen Tannenbaum an
in ihrem Gesicht, als sie endlich ihr Gegenteilchen aufgestöbert hatte. Heisere
Rufe weckten Verna in der Gletscherhöhle, im Kalkgebirge, wo sie zwischen
Stalagmiten und Stalaktiten und Alakar Macodys Gedicht in ihrer Hand
verlorengegangen war. Langsam wandte sie den Kopf ganz zu Vera Albert um, und
auch Vera Albert bewegte ihren Kopf, genauso langsam. Sie hatte ihr Haar
gefärbt, süße Strähnen wie Wasser, und endlich stießen ihre Hände auf Verna
herab, aber Verna spürte die Berührung nicht. Etwas war doch falsch, ganz
falsch an ihr, alle Sinne versagten. Aber als Alakar Macody zusammenfuhr,
begriff Verna, daß Vera Albert sich nicht auf sie, sondern auf ihn geworfen
hatte und nun an ihm klebte wie ein Egel. Stimmen verliefen, Wasserfarbe auf
feuchtem Papier, dann knallte ein Kuß.
    Knallte ein Kuß.
    »Sie... was macht sie denn da?« fragte
Verna, aber ihr Satz ging unter im Rauschen eines schweren Kleides, ihres
eigenen Kleides, das sich um Vera Alberts Hüften bauschte. Manasse nickte in
die Reibeisengeräusche, und Kavo machte untertassengroße Augen. Als Mister Hu
freundlich sein Glas in Vernas Richtung hob, begannen ihre Knie zu zittern.
Warum küßt sie ihn denn, aber wahrscheinlich küßt sie ihn gar nicht,
wahrscheinlicher ist, daß ich endlich meine Halluzination habe. Ich hätte auf
Izzy hören sollen. Es war klar, daß es eine fixe Idee ist, schließlich
schreiben Dichter von Geburt an. Andererseits könnte dies meine zweite Geburt
sein. Als Verrückte werde ich geboren, vielleicht kann ich ab heute auch
dichten.
    »Al-kalar«, sagte Vera Albert, »da bist
du ja. Ich hatte mir solche Sorgen gemacht!« Als sie ihn wieder küßte, wußte
Verna, daß sie die beiden erfunden hatte. Ich habe hier alles erfunden. Vera
Albert und den Chinesen Mister Hu. Ich bin eine grandiose Erfinderin. Ich bin
die größte Dichterin der Welt.
    »Ich hatte stundenlang auf dich
gewartet, Al-kalar«, sagte Vera Albert.
    »Sie trägt mein Kleid«, sagte Verna zu
Manasse, »und ich glaube, sie benutzt auch mein Parfüm!«
    Noch im selben Moment kam es ihr
kleingeistig vor. Jeder Mensch war frei, das Parfüm zu tragen, das ihm gefiel.
    »Darf ich vorstellen«, sagte Alakar
Macody, als hätte er nicht gehört, was sie sagte, »oder nein«, verbesserte er
sich, »ich hatte vergessen, Sie kennen sich bereits. Dann wissen Sie ja, daß
dies Vera Albert ist, meine...« — sein Gesicht schleuderte nur kurz Freundin!«
    Erleichtert stieß Vera Albert einen
Schwall heißer Luft aus.
    »Ach, das wußte ich ja gar nicht!«
sagte Annett beleidigt.
    Es war nicht lange vor ihrer Trennung
gewesen, da hatten Izzy und Verna ein Theaterstück besucht, in dem blutende
Menschen von der Decke hingen. Scheinwerfer beleuchteten sehr weiße Hälse, auf
denen das Blut sehr rot aussah. Während der gesamten Vorstellung kaute Izzy
Kaugummi und hatte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände
gestützt. Er konnte also gar nicht wahrnehmen, daß Verna in eine Angstattacke
geriet und schon beim zweiten Akt hyperventilierte. Als die blutenden Menschen
sich von ihren Haken losmachten und, nackt unter Regenmänteln, auf der Bühne
auf und ab marschierten, brach er spontan in Applaus aus, und sie suchte mit
den Augen verzweifelt die Wände nach einem Ausgang ab.
    »Ich hatte einen kleinen Imbiß
vorbereitet«, sagte Vera Albert in ihre Richtung, »für nach der Show. Ich
dachte, Alkalar, du und

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