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Die Endlichkeit des Lichts

Die Endlichkeit des Lichts

Titel: Die Endlichkeit des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Riedel
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sehen, wie die
Gesäßmuskeln sich von der Darmbeinschaufel bis zur Hüfte zogen. Annett schien
fasziniert von der Ausprägung dieses speziellen Bewegungsapparats zu sein. Ihre
Finger tasteten in putzigen Wirbeln ihre eigenen Rippen ab. Mit einem Scheppern
landete Kavos Glas auf der Tischplatte.
    »Nun laß doch endlich dieses
autoerotische Zupfeln!« sagte er. »Zupfeln!« wiederholte Manasse.
    Annett riß den Kopf zurück und ließ die
Finger befehlsgemäß fallen, liquidiert, vernichtet. Über dem Fenster hing ein
greller Neonschriftzug. Ein einziges Wort, Warum? Mister Hu lächelte,
und die buschigen Augenbrauen des Barmanns verdrehten sich zu Fragezeichen.
Verna wartete. Hier ist Belladonna, sagte Eliot, die Dame vorm
Felsgrund. Die Situationistin.
    »Dann geht es in Ihrem Wort um eine
Situation«, sagte Alakar, »in der jemand im Vorteil vor einem anderen ist?«
    »Naja«, sagte Verna, »okay.«
    Es ist Quiz, dachte Alakar. So
ein Mist, ich habe schon wieder gewonnen.
    »Mon dieu!« rief der Barmann, als ein
Löffel zu Boden fiel, vielleicht war er doch schwul. Auf dem Cocktail, den er
einem der Kellner in die Hand drückte, saß obszön wie eine Brustwarze eine
Maraschinokirsche. Der andere Kellner stieß seine Fäuste im Rhythmus der Musik
neben den Hüften hin und her. Chumbawamba. Englische Krachmacher. I get
knocked down, Beschwörungen, Refraingebete, die das Personal zu erregen
schienen. In ihrer Viereckigkeit sahen die beiden wie Zwillinge aus, Dümmlinge,
identische Ketten aus Muscheln um die dicken Hälse gewürgt.
    »Quiz!« sagte Alakar entschlossen. »Ja,
dann ist es wirklich Quiz!« Jubelnd sprang Verna auf, und Mister Hu und die
Dümmlinge drehten sich synchron um.
    »Falsch! Falsch! Reingelegt!« rief sie,
»es war nicht Quiz! Einen Dreifachen für unseren Glückspilz! Jetzt müssen Sie
doch noch trinken!«
    »Was war es denn dann?« fragte Annett,
erstaunt wie eine Fünfjährige.
    »Güte!« rief Verna und hüpfte von einem
nackten blassen Fuß auf den anderen. Die Pumps hatte sie von sich geschleudert.
»Güte war es! Güte!« Manasse hob ein schweres Lid und schüttelte den Kopf.
    »Aber«, sagte Annett, »das versteh ich
nicht, Fragen werden gestellt, hatte Alakar doch gesagt. Wieso werden denn bei
Güte Fragen gestellt? Fragen werden bei einem Quiz gestellt, oder?«
    »Güte«, sagte Verna, »es war aber Güte!
Als ob ich nicht wüßte, was ich mir selbst ausdenke. Sicher werden bei Güte
Fragen gestellt. Zum Beispiel fragt sich der Gütige, ob die anderen Güte
verdienen. Was ihn Güte kostet. Ob Güte ein Wort ist, das erlaubt ist in
ungütigen Zeiten. Fragen sind heutzutage in puncto Güte die Bedingung
schlechthin!«
    Aus seiner alpenländischen Physiognomie
heraus, in der sich alle Einzelteile eng um die Nase gruppierten, grinste der
Barmann ihr zu. »Das finde ich aber blöd«, sagte Annett eigensinnig, »wenn man
so um die Ecke denken muß. Dann könnte ja jeder immer alles beantworten, wie’s
ihm gerade paßt, oder, Alakar?«
    Er dachte nach und nickte, nur um ihr
noch mehr zu gefallen. Das Zitronenscheibchen, mit dem Verna auf sein Glas
gezielt hatte, landete auf Kavos moderner Hose. Mit schiefgelegtem Kopf
betrachtete sie die Flecken, prostete Mister Hu zu und kicherte. Sie verkraftet
es nicht, daß sie sie gefeuert haben, dachte Alakar. Ich würde es auch nicht
verkraften, nicht wenn meine Zehennägel aussähen wie blankgeputzter Rosenquarz.
    »Ausgebuffte Burschen, diese
Pythagoreer«, sagte sie und fischte geistesabwesend einen Kern aus ihrem Glas,
»dabei gibt es nichts, was weiter von einem Quiz entfernt ist als Güte. Aber
sie haben uns bewiesen, daß das eine mit dem anderen so gut wie identisch ist.«
    Alakar mußte daran denken, wie Vera
Albert in ihrem Flur zu seinen Füßen geweint hatte. Daran, daß sie vermutlich
wieder weinte, an die kühlen, nackten Waden der Vernapuppe gelehnt. Wo bist du,
Alkalar? Wo bist du denn? Auch an Doris Knöchel dachte er. Vor dem Kino damals
hätte er etwas anderes sagen können, als er gesagt hatte. Etwas sagen, etwas
tun. Doris nasses Haar später, unter der Dusche, in seiner Hand. Karen Blixens
Haar und Schaum auf den Resten der Schwimmhäute zwischen seinen Fingern. Nach Jenseits
von Afrika hätte er Doris erzählen müssen, an welcher Stelle ihm die Tränen
kamen. Wie Finch Hattons Frage ihm das Herz zerriß. Vom wirklichen Gefühl von
Karen Blixens Haar in seinen Händen, als die wahre Wahrheit ihm im Magen lag
wie ein Stein. Der

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