Die Endlichkeit des Lichts
innen gewachsen war. Er mußte den Moment abpassen, in dem
sie das Zimmer verließ, ihr folgen und ihr den Schweiß vom Gesicht wischen, sie
heil machen und erlösen. Alakar haßte es, daß Verna Albrecht dieses nasse
Gesicht sah und alles, was der Schweiß an Assoziationen hervorrufen mochte.
Einen Körper, zwei Körper. Vera, die Ekzem-Versteckerin, wie sie ihn immer
wieder liebte, wenn sie ihn liebte, und das, was er dabei empfand.
»Ich glaube, ich kann nichts essen,
Vera«, sagte er, ein Echo, hohl in allen gekachelten Ecken.
»Natürlich ißt du was. Wir essen jetzt
alle, dann plaudern wir, und dann gehen wir ins Bett.« Wieder seufzte Verna
Albrecht, die Platte mit den Häppchen landete auf dem Tisch, Salami und
Blauschimmelkäse, besonders schimmeliger Schimmelkäse. Jeder geht in sein Bett,
witzelte Antonio, er in seins und sie in seins.
»Nein«, sagte er.
»Was nein?« fragte Vera. Verna aber
schloß die Augen, zusammengewachsene Lider, zart wie Plattmuscheln, Macoma
baltica, rosenfarbene, silbrige Schalenklappen, meidet starke Brandung. Als
Vera hinter sie trat und plötzlich Vernas Kopf berührte, erstarrte sie und riß
die Augen auf. So harrte sie aus, während Veras Hände sich in Höllenottern
verwandelten, die sich um einen Stein wanden, sich sacht an ihrem Schädeldach
bewegten und Masseter, Temporalis und Sternocleido bis hinunter zu den
Schlüsselbeinen massierten. Verna war gestorben und rührte sich nicht, und
Alakar beobachtete sie bestürzt. Erst als die Schlangen schließlich seitlich am
Hals zubissen, sah er die Tränen, die ihr in den Augen standen.
»Was nein, Al-kalar?« sagte Vera mit
Schlangenstimme.
»Ich esse nichts. Ich kann wirklich
nichts essen. Mir ist ein bißchen schlecht.«
»Ach so. Dann eben nicht. Dann essen
Verna hier und ich eben alleine.«
Mit kleinen Rucken glitten ihre Hände
über Vernas Schultern, und Verna hing in diesen Händen, die sie hin und her
drehten wie einen Beutel Stoff. Aus Steinpupillen sah sie ihn an, und er gab
ihr den Blick zurück. Das ist für Anne Sextons verlorenes Bein. Für das Gedicht
heute nachmittag. Und dafür, daß du wissen wolltest, wer die Fäden in der Hand
hält. Danke, sagten die Augen, ja. Aber jetzt ist es genug, dachte Alakar, das
habe ich nicht gewollt, sagte er den Augen, und die Augen antworteten nicht,
nur Vera lächelte weiter und sah äußerst zufrieden aus.
»Ich habe ein gutes Gefühl für Körper,
meine Liebe«, sagte sie, »Leute, die aussehen wie ich, lernen früh, die Augen
zu schließen. Wenn wir nicht blind wären, könnten wir uns gleich umbringen.
Verstehen Sie, was ich meine?« Vernas Nicken drang in Alakars Körper ein, bis
er es nicht mehr ertragen konnte. Sag was. Sag nein.
»Wissen Sie, Verna, ich habe Sie
natürlich beneidet. Ich habe Menschen wie Sie beneidet, perfekte Leute. Kein
Zahn, der schief steht, und dann das Charisma! Wenn man morgens in den Spiegel
schaut, dann muß es sein, als öffne man ein Fenster und davor... die Luft...
ganz blau. Man kann sie atmen.«
Ja, nickte Verna Albrecht, natürlich
verstehe ich, wer würde nicht verstehen.
»Hör auf«, sagte er scharf, aber schon
streiften Veras Finger Vernas Brust, schoben sich unter Vernas Brust, hielten
Vernas Brust und hoben sie an. Dann öffnete Vera die Augen über Vernas
geöffneten Augen. Ein kaltes Lächeln saß hinter ihrem Blick und biß sich in ihm
fest.
»Hör auf!« wiederholte er.
»Warum«, sagte Vera anklagend, »warum
amputieren sie nicht solche Brüste? Ich meine, ist das gerecht? Womit
hat jemand wie sie es verdient, diese Brüste zu haben? Nun, ich frage. Aber
antworten wird sie nicht!« Vera war nun größer als die Puppe hinter ihr, als
hätte sich in ihrem Körper etwas aufgerichtet, was mächtig und unabwendbar war.
Ach du Scheiße, sagte Antonio, und deutete auf Vernas Brüste, die Vera ihm wie
ein Geschenk entgegenhielt. Sie dreht durch, nun unternimm schon was.
Zentimeterweise schob sich Alakars Hand
über den Tisch, auf Vera, auf Verna Albrecht, auf die Puppe in Veras Rücken zu,
die Verna Albrecht so sehr nicht sehen wollte, daß sie das mit sich anstellen
ließ. Auf dem Tisch lag seine geöffnete Hand wie eine Opferschale.
»Bitte«, sagte er, »bitte, bitte
nicht!«
Veras Finger erstarrten, und sie
blinzelte. Ihre Augen fielen in seine Hände, und schnell ballte er die Fäuste
und hielt die Augen darin fest. Als der Kühlschrank sich einschaltete, fuhr
Vera erneut zusammen, und schließlich zog sie die
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