Die Endlichkeit des Lichts
Verna, ihr habt vielleicht Hunger, und du kommst
spontan auf die Idee, sie mitzubringen zu... uns nach Haus.«
»Ja«, sagte Verna, »aber natürlich,
gern, vielleicht ein anderes Mal.«
Als auf der Bühne plötzlich einer der
nackten Männer in den Regenmänteln auf die Knie fiel und zu masturbieren
begann, war sie ganz krank davon geworden. Sie hatte ihren Kopf, in dem es weiß
war, an Izzys Schulter gelehnt, und Izzy hatte ihren Kopf abgeschüttelt,
beschäftigt mit einem weiteren spontanen Applaus. Sie erinnerte sich, ihn
flüsternd gefragt zu haben, wie sie zur Toilette käme, es war eine vernünftige
Frage aus einem vernünftigen Anlaß, aber Izzy hatte sie unvernünftigerweise
nicht beantwortet, ja nicht einmal gehört. Der Mann auf der Bühne ächzte, eine
blutende Frau hinter ihm klagte, und als der Angstanfall nachgelassen hatte und
das Gefühl in Vernas Arme und Hände zurückgekehrt war, gingen sie in eine
Sushi-Bar, wo roher Fisch, eingewickelt in kleine Reisverbände, auf einem
Laufband an ihnen vorbeizog. Alle aßen sie einige Häppchen. Izzy, der
masturbierende Mann, der sein Freund war, dessen blutende, klagende Kollegin
und sie selbst. Ohne Unterlaß redeten die drei, sie saß daneben, und erst als
die Sushis kamen, stellte Izzy Verna vor. Sagt hallo zu Verna, zwischen Krabben
und Hai, sagt hallo zu Verna. Sie hatten hallo gesagt. Kaum mehr.
»Schätzchen«, sagte Manasse, »du bist
ja ganz blaß. Besser, du kommst gleich mit zu mir.«
An seiner Seite hielt Kavo Annetts
autoerotische Hand fest. Pontius Pilate came to our town, sangen
Chumbawamba, up to the dockyards to see the picket line. Vernas
Gegenteilchen schlürfte Tequila aus Alakars Glas und flüsterte mit ihm. Er sah
sie an, wie Izzy im Theater den masturbierenden Mann angesehen hatte, gebannt
und voller Hoffnung. Blutende Menschen flogen, eingehüllt in blutige, halbe
Sätze, die jemand einmal gesagt hatte. Sylvia Plath, Anne Sexton. Was hat das
mit mir zu tun, dachte Verna, nichts hat das mit mir zu tun. Über Annett hinweg
plauderten Kavo und Manasse, während Alakar Macody und die gräßliche Frau
einander mit Berührungen traktierten. Dies ist ein Stuhl, dachte Verna. Auf
diesem Stuhl sitze ich. Der Stuhl bewegt sich nicht. Der Stuhl ist tot wie Izzy.
Ich bin es, die sich bewegt. Es ist eine ganz natürliche Bewegung.
»Verna«, sagte Alakar aus den Tiefen
von Vera Alberts Umarmung, »falls Sie doch noch Appetit haben... Ich meine, der
Imbiß ist nun schon vorbereitet. Wirklich schade um das Essen.«
»Und Sterbende«, sagte Vera Albert in
Vernas steifem, hübschem Limettenkleid, »soll man nicht warten lassen, oder?
Ging so nicht das Sprichwort?«
»Reisende«, rief Annett, »soll man
nicht aufhalten. So ging das!«
»Ach ja?« sagte Vera Albert, die Alakar
Macodys Unterarm befühlte.
»Das ändert auch nichts an der
Tatsache«, sagte Alakar Macody, »daß das Essen sonst weggeworfen wird.«
»Essen!« hörte Verna sich ausrufen.
Eilig nahm sie noch einen Schluck, um nicht zu spüren, wie die ersten Schlucke
ihr zu Kopfe stiegen. Ich bin der Trank, wer glaubt an mich, den wird nicht
dürsten ewiglich. Das Abendmahl, dachte sie, Moira, das Schicksal. Vae
victis.
»Ein Imbiß? Ach, wirklich? Warum
nicht?«
Ununterbrochen redete Vera auf Verna
Albrecht ein, die neben ihr auf dem Beifahrersitz saß und noch kein Wort gesagt
hatte. Junge, sagte Antonio, Hut ab! Gleich zwei Frauen, und alle auf deiner
Seite.
Süße, hatte Manasse Verna in der Bar
noch zugeraunt, iß bloß nichts bei der fetten Qualle, und faß in ihrer Wohnung
besser auch nichts an! Er hielt sie am Arm gepackt, und als sie sich losmachte,
bemerkte Alakar die Mischung aus Angst und Ekel in ihrem Blick, bevor sie sich
an der Wand enlang zum Ausgang tastete. Vorbei an Mister Hu und Kavo, die an
kubanischen Zigarren sogen. Annett hatte sich mit funkelnden Augen an die Bar
gesetzt und observierte bewundernd jede Bewegung des Barmanns. Seine Wimpern
waren wie Halbmonde gebogen.
Vor Alakar auf dem Rücksitz ragten zwei
Steinfiguren im hellen Ausschnitt der Windschutzscheibe auf.
»Verna, glauben Sie«, sagte Vera, »daß
Ihr Glückskäfer da mit dem Barkeeper ein Techtelmechtel anfängt? Ich meine, daß sie wird, weiß ich schon. Aber glauben Sie, er findet sie hübsch
genug? Also, ist es Ihrer Meinung nach so, daß auch die weniger hübschen Frauen
Chancen bei hübschen Männern haben?«
Bitte nicht, dachte Alakar. »Aber sie
ist doch hübsch«, warf er
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