Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
ertragen. Sie war Mutters und Vaters Prinzessin gewesen. Sie wusste, dass man sie gewollt und geliebt hatte. Das Einzige, was sie vor Angst erzittern ließ, waren die Schritte ihres Pflegevaters nachts auf dem Flur. In diesen Momenten wünschte sie, sie wäre Vater und Mutter in den Tod gefolgt.
N ervös strich Josef über den Stein, den er in der Hand hielt. Dieses Treffen war wichtig, und Sebastian durfte es nicht kaputtmachen.
»So.« Sebastian zeigte auf die Zeichnungen, die er auf den Konferenztisch gelegt hatte. »Das ist unsere Vision. A project for peace in our time .«
Josef seufzte. Er war sich nicht sicher, ob englische Phrasen bei den Gemeinderatsmitgliedern Eindruck schinden würden.
»Mein Geschäftspartner möchte damit sagen, dass unser Vorhaben der Gemeinde Tanum eine großartige Möglichkeit bietet, etwas für den Frieden zu tun. Dieses Projekt wird dem Ansehen Ihrer Gemeinde nützen.«
»Tja, Frieden auf Erden ist eine feine Sache, aber aus ökonomischer Sicht ist die Idee auch nicht dumm. Auf lange Sicht kann sie den Tourismus ankurbeln, und auf diese Weise entstehen neue Arbeitsplätze für die Menschen hier. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären.« Sebastian hielt eine Hand hoch und rieb den Daumen gegen Zeige- und Mittelfinger. »Am Ende hat die Gemeinde mehr in der Kasse.«
»Aber vor allem handelt es sich um ein wichtiges Friedensprojekt.« Josef hätte Sebastian am liebsten gegen das Schienbein getreten. Schon als er Sebastians Geld annahm, hatte er gewusst, wie sich die Dinge entwickeln würden, aber er hatte keine andere Wahl gehabt.
Erling W. Larson nickte. Nach dem Skandal um das Wellnesshotel Badis war er eine Weile aus dem Verkehr gezogen worden, aber nun mischte er wieder in der lokalen Politik mit. Ein solches Projekt würde deutlich zeigen, dass mit ihm noch zu rechnen war. Josef hoffte, dass er das auch begriff.
»Wir finden die Idee interessant«, sagte Erling. »Könnten Sie uns nicht etwas genauer erläutern, wie Sie sich das Ganze vorstellen?«
Sebastian holte tief Luft, aber Josef kam ihm zuvor.
»Dies ist ein Stück Geschichte.« Er hielt den Stein in die Höhe. »Albert Speer hat für das Deutsche Reich in Bohusläner Steinbrüchen Granit gekauft. Gemeinsam mit Hitler hatte er grandiose Pläne entworfen, Berlin zur Welthauptstadt Germania umzuwandeln. Der Granit sollte per Schiff nach Deutschland verfrachtet werden und dort als Baumaterial dienen.«
Josef stand auf und wanderte beim Reden auf und ab. In seinem Kopf hallte das Stiefelknallen der marschierenden deutschen Soldaten wider. Von diesem grauenhaften Geräusch hatten ihm seine Eltern oft erzählt.
»Doch dann nahm der Krieg einen anderen Verlauf«, fuhr er fort. »Germania blieb ein Modell, um das sich Hitlers Phantasien rankten. Ein unerfüllter Wunschtraum, eine Vision von gigantischen Denkmälern und Bauten, die auf Kosten des Todes von Millionen Juden erbaut werden sollten.«
»Gott, wie furchtbar«, sagte Erling unbekümmert.
Josef sah ihn ratlos an. Erling hatte nichts verstanden, niemand tat das, aber er würde nicht zulassen, dass die Leute vergaßen.
»Große Teile des Granits wurden nie verschifft …«
»Und hier kommen wir ins Spiel«, unterbrach ihn Sebastian. »Wir haben uns gedacht, dass man aus dem Granit Friedenssymbole herstellen könnte, die anschließend verkauft werden. Wenn man es richtig anfängt, kann man mit so etwas eine Stange Geld verdienen.«
»Mit dem Erlös würden wir ein Museum errichten, das sich der jüdischen Geschichte und dem schwedischen Verhältnis zum Judentum widmet. Zum Beispiel unserer angeblichen Neutralität während des Zweiten Weltkriegs«, fügte Josef hinzu.
Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, legte ihm Sebastian den Arm um die Schultern und drückte ihn. Josef musste sich beherrschen, um Sebastian nicht wegzustoßen. Stattdessen lächelte er gezwungen. Er kam sich genauso fehl am Platz vor wie früher auf Valö. Mit Sebastian und seinen anderen vermeintlichen Freunden hatte er noch immer genauso wenig gemein wie damals. Egal, wie sehr er sich anstrengte, er würde niemals Zutritt zu den besseren Kreisen bekommen, aus denen John, Leon und Percy stammten, und das wollte er auch gar nicht.
Doch nun brauchte er Sebastian, denn er hatte keine andere Chance, den Traum zu verwirklichen, den er schon so lang mit sich herumtrug: Er wollte sein jüdisches Erbe ehren und darüber aufklären, welches Unrecht dem jüdischen Volk
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