Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
dass es in Schweden heutzutage so wenig Spielraum gibt.« John hob sein Glas und trank einen Schluck von dem eiskalten Rosé. »Dauernd wird von Demokratie und Meinungsfreiheit geredet, aber wir dürfen unsere Ansichten nicht zum Ausdruck bringen, wir haben kein Recht, uns Gehör zu verschaffen. Wir dürften eigentlich gar nicht da sein. Leider vergessen dabei alle, dass das Volk uns gewählt hat. Genügend schwedische Bürger haben gezeigt, wie unzufrieden sie mit den Verhältnissen hier sind. Sie wollen eine Veränderung, und diese Veränderung haben wir ihnen versprochen.«
Er stellte sein Glas ab und wandte sich wieder den Shrimps zu. Auf dem Teller lag bereits ein großer Schalenhaufen.
»Ja, es ist fürchterlich«, sagte sein Schwiegervater und nahm sich eine Handvoll Shrimps. »Wenn wir schon eine Demokratie haben, dann muss man auch auf das Volk hören.«
»Außerdem weiß doch jeder, dass viele Einwanderer nur wegen der Transferleistungen kommen«, warf seine Schwiegermutter ein. »Kämen nur die Ausländer zu uns, die wirklich arbeiten und etwas leisten wollen, ginge es ja noch, aber ich habe keine Lust, mit meinem Steuergeld diese Schmarotzer durchzufüttern.« Sie lallte bereits ein wenig.
John seufzte. Idioten. Sie hatten keine Ahnung, wovon sie redeten. Genau wie die meisten Schafe in der Wählerherde vereinfachten sie das Problem. Sie hatten nicht das große Ganze im Blick. Seine Schwiegereltern waren typische Vertreter der Ahnungslosigkeit, die er aus tiefstem Herzen verabscheute, und nun saß er hier eine ganze Woche mit ihnen fest.
Liv strich ihm beruhigend über den Kopf. Sie wusste, was er von ihnen hielt, und gab ihm im Allgemeinen recht. Trotzdem waren Barbro und Kent ihre Eltern, und dagegen ließ sich nichts machen.
»Am schlimmsten finde ich, wie heute alles vermischt wird«, sagte Barbro. »In unserem Viertel ist gerade eine Familie eingezogen, bei der die Mutter Schwedin und der Vater Araber ist. So wie die ihre Ehefrauen behandeln, kann man sich ja ausmalen, wie schlecht es der armen Frau gehen muss, und die bedauernswerten Kinder werden bestimmt in der Schule gehänselt. Irgendwann werden sie kriminell, und dann bereut die Frau, dass sie sich keinen Schweden gesucht hat.«
»Recht hast du.« Kent versuchte, von seinem riesigen Krabbenbrot abzubeißen.
»Kann John nicht mal bei der Politik eine Pause machen?«, fragte Liv mit leisem Vorwurf. »Wenn er sich schon in Stockholm den ganzen Tag mit Einwanderungsproblemen herumschlagen muss, könnte er doch wenigstens hier ein bisschen abschalten.«
John warf ihr einen dankbaren Blick zu. Er bewunderte seine Frau. Sie war so perfekt. Hellblondes seidiges Haar, das sie sich leicht aus dem Gesicht gestrichen hatte. Klare Gesichtszüge und strahlend blaue Augen.
»Verzeih mir, mein Herz, wie gedankenlos von uns. Wir sind nur so stolz auf Johns Erfolge und die Position, die er sich erarbeitet hat. Aber nun wollen wir über etwas anderes reden. Wie läuft denn zum Beispiel dein eigener kleiner Betrieb?«
Lebhaft berichtete Liv von den Sorgen, die der Zoll ihr bereitete, weil er ihre Geschäfte verkomplizierte. Dauernd verzögerten sich die Lieferungen der Einrichtungsgegenstände, die sie aus Frankreich importierte und in einem Onlineshop vertrieb. John wusste jedoch, dass ihr Interesse am Verkauf der Wohnaccessoires im Grunde erloschen war. Sie widmete sich immer stärker der Partei. Im Vergleich dazu wirkte alles andere unwichtig.
Die Möwen wagten sich immer näher heran. Er stand auf.
»Ich schlage vor, wir räumen ab. Die Vögel werden langsam lästig.« Er nahm seinen Teller, ging bis an die Spitze des Stegs und warf alle Schalen ins Meer. Die Möwen stürzten sich hinterher, um möglichst viele zu ergattern. Um den Rest würden sich die Krebse kümmern.
Er blieb eine Weile dort stehen, holte tief Luft und sah zum Horizont. Wie üblich blieb sein Blick an der Insel Valö hängen, und wie immer packte ihn die Wut. Zum Glück riss ihn ein Surren in der rechten Hosentasche aus seinen Gedanken. Hastig zog er das Handy heraus und warf einen Blick auf das Display, bevor er das Gespräch annahm. Der Ministerpräsident war am Apparat.
»Was hältst du von diesen Glückwunschkarten?« Patrik hielt Martin die Tür auf, die so schwer war, dass er sich mit der Schulter dagegenlehnen musste. Die Polizei von Tanum war in den Sechzigern erbaut worden, und als Patrik das bunkerartige Gebäude zum ersten Mal betreten hatte, schlug ihm die
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