Die Engelsmuehle
jener eine Satz in seiner Erinnerung, den Ostrovsky auf Kurts Anrufbeantworter gesprochen hatte. Er würde der Polizei nicht vertrauen, die möglicherweise in eine Verschwörung verwickelt war. Immerhin hätte Ostrovsky das Band auch der Kripo zuspielen können, doch aus welchem Grund auch immer, hatte er sich für Kurt entschieden. Und solange Hogart nicht wusste, was sich auf dem Band befand, würde er es nicht aus der Hand geben. Langsam ließ er die Kassette in der Sakkotasche verschwinden.
Während Hogart zu seinem Auto ging, stopfte er die Handschuhe und blauen Überzieher in die Tasche.
Kurt wartete bereits ungeduldig vor dem Skoda. »Wo warst du so lange?«
»Spazieren - steig ein!«
Hogart wendete den Wagen und sie fuhren die Waldorfgasse hinunter Richtung Stadt. »Wie war das Verhör?«, fragte Hogart.
»Eichinger ist ein Arsch! Zwischen ihm und dir stimmt doch etwas nicht, oder - Hog?«
Hogart zuckte zusammen, als er diesen schrecklichen Spitznamen aus dem Mund seines Bruders hörte. »Das ist lange her. Halb so wichtig.«
»Aber nicht so lange her, als dass er sich nicht daran erinnern könnte. Falls es dir ein Trost ist - ich mag ihn auch nicht!«
»Die meisten im Dezernat können ihn nicht leiden. Hat er versucht, dir den Mord in die Schuhe zu schieben?«
»Das nicht.« Kurt druckste herum. »Aber sie haben meine Fingerund Schuhabdrücke genommen, mich befragt, ob ich Verbindungen zur Israelischen Botschaft oder zur Israelitischen Kultusgemeinde habe, was ich über antisemitische Bewegungen weiß, welche Petitionen ich in den letzten sechs Monaten unterschrieben habe und wo ich Freitagabend war.«
Hogart merkte, wie Kurts Hände zitterten. »Mach dich nicht verrückt, du hast doch diese Patientin als Alibi.«
»Ich habe gesagt, ich war allein in meiner Praxis.«
»Bist du verrückt?« Hogart wandte den Blick von der Straße. »Hier geht es um Mord!«
»Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen.«
»Davon?« Hogart wurde ernst. »Sag bloß, du hast ein Verhältnis?«
»Es ist nur eine Bekannte.«
»Nur eine Bekannte!«, echote Hogart. »Scheiße, du betrügst Sabina! Ich fasse es nicht! Oh, Mann. Hast du ihnen etwas von Ostrovskys Nachricht auf deinem Anrufbeantworter erzählt?«
»Natürlich, was denkst du denn? Aber ich habe die Sache mit dem Video verschwiegen. Hast du es gefunden? Ich habe ständig Ausschau nach dir gehalten, aber ich habe dich nicht ins Haus schleichen sehen.«
»Sagt dir die Zahl 05 etwas?«, fragte Hogart.
»In welchem Zusammenhang?«
»Keine Ahnung.«
»Nein. Wo fahren wir eigentlich hin?« Kurt blickte aus dem Fenster.
»In meine Wohnung.« Hogart zog die Kassette aus der Tasche und warf sie Kurt in den Schoß. »Dort sehen wir uns das Video an.«
»Das ist es?« Kurt betrachtete die Hülle. »So klein? Ohne Adapter können wir das vergessen.«
»In der Kiste mit den Tausenden Geburtstags-, Weihnachts- und Hochzeitsfilmen muss einer liegen.«
»Du hast Vaters Filme?«, platzte es aus Kurt hervor.
»Mutter hat sie mir nach seinem Tod gegeben.«
»Aber ich wollte sie haben!«
»Du kannst sie haben.« Hogart tippte auf die Kassette. »Sagt dir die Nummer etwas?«
»Ich fasse es nicht, dass du Vaters Filme hast.«
»Die Nummer!«, wiederholte Hogart.
»Dreihundertachtundvierzig«, las Kurt vor. »Eine Aktenzahl vielleicht.«
»Davon gibt es noch ein paar Hundert andere Bänder in Ostrovskys Arbeitszimmer, aber wie es scheint, ist nur auf diesem etwas Wichtiges zu sehen.«
»Hoffentlich kein Snuff-Mist.«
3
Hogarts Terrassenwohnung lag in der Tivoligasse in Wien Meidling. Inmitten jener Gegend, wo streunende Köter die Parks vollschissen und am helllichten Tag Autos aufgebrochen wurden, hatte sich Hogart in seiner Dachwohnung eine Atmosphäre geschaffen, in die er sich zurückziehen und alles um sich herum vergessen konnte. Zu seinem Reich zählten eine Sicherheitstür, schalldichtes Glas und zusätzliche Fenster in den Dachschrägen, die jeden Raum mit Licht durchfluteten. Im Stockwerk darunter lag sein Büro. Die Höhe der Gesamtmiete war okay, er fand immer einen Platz zum Parken, und sowohl U-Bahn als auch Schnellbahnstation lagen nur zehn Gehminuten entfernt. Was wollte er mehr?
Das Einzige, was ihn wahnsinnig machte, war die Diskothek im Keller des Gebäudes, in der mit Drogen gedealt wurde. Durch eine Hintertür, die zwar mehrmals verschweißt, aber immer wieder aufgebrochen wurde, gelangten die Diskobesucher in den Innenhof des
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