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Die Engelsmuehle

Die Engelsmuehle

Titel: Die Engelsmuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Gebäudes, und von dort in das Treppenhaus, wo oft schlimme Partys gefeiert wurden. Manchmal lagen Kondome oder Spritzen auf den Schuhabtretern. Den Jugendlichen war es gleichgültig, wie oft die Polizei in einer Nacht ausrücken musste, sie taumelten immer wieder durchs Treppenhaus, pissten auf die Fußmatten oder blieben einfach nur bis Mittag vor den Eingangstüren liegen.
    Als Hogart die Wohnung betrat, leerte er sogleich seine Taschen aus und warf Handy, eine Reserveschachtel Zigaretten und eine Packung Kaugummi auf die Kommode. Volle Taschen beengten ihn beim Sitzen. Es war nichts weiter als ein Tick - eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte. Am schlimmsten war es beim Autofahren.
    »Hier stinkt es gar nicht nach Zigarettenrauch«, stellte Kurt fest, der ihm durch den Vorraum folgte.
    »Ich will es mir abgewöhnen.«
    »Schaffst du nie!«
    Sie betraten das Wohnzimmer. Die Bücherboards waren mit Videos von alten Schwarz-Weiß-Klassikern voll geräumt, von Hamlet bis Casablanca und den Filmen mit Glenn Ford, William Holden oder Gregory Peck. Damals waren noch gute Filme gedreht worden. Zwischen den Regalen hingen gerahmte Autogramme von Schauspielgrößen wie Rita Hayworth oder Bette Davis und signierte Singles von Muddy Waters oder John Lee Hooker.
    Kurt fuhr mit dem Finger über die Regale, ohne eine Staubschicht aufzuwirbeln. »Putzt du die Wohnung immer noch selbst?«
    »Glaubst du, ich lasse diese Schätze in die Hände einer Putzfrau fallen?«
    »Junge, du musst Zeit haben.«
    »Dafür lasse ich meine Kleider waschen und bügeln - und die Reinigung an der Ecke ist nicht billig.« Hogart zerrte eine Kiste aus einem Schrank hervor. Darin befanden sich die alte Videokamera seines Vaters, damals noch ohne Display und mit mittlerweile kaputtem Akku, ein meterlanger Kabelsalat, Dutzende Kassettenhüllen und ein mit Leukoplast zusammengeklebter Adapter.
    »Ich hoffe, das Ding funktioniert noch.« Hogart richtete sich auf. »Kaffee?«
    »Ich sitze wie auf Nadeln«, drängte Kurt. »In einer halben Stunde kommt die nächste Patientin in die Praxis.«
    »Die, mit der du Sabina betrügst?«, fragte Hogart. Kurt antwortete nicht darauf.
    »Richte schon mal alles her.« Hogart warf Kurt den Adapter zu und ging in die Küche, wo er die Espressomaschine einschaltete. »Seit wann triffst du dich mit ihr?«
    »Mit Sabina läuft es seit einem halben Jahr nicht mehr so gut«, wich Kurt aus. »Als Tatjana in die Pubertät kam, begann Sabina mit Fortbildungskursen - Logopädie, NLP, Psychologie für schwer erziehbare Kinder und solchem Kram. Ich habe mit der Praxis viel um die Ohren, da bleibt nicht mehr viel gemeinsamer Gesprächsstoff.«
    »Und ihr trefft euch in deiner Praxis, im Innenhof eures Wohnhauses, direkt vor Sabinas Nase?«
    »Bist du verrückt?«, rief Kurt aus dem Nebenraum. »Sie lebt in Alt-Erlaa. In der Nähe des modernen Wohnparks steht ein Motel.«
    »Sie ist wohl auch verheiratet? Du solltest mit ihr Schluss machen. Falls Tatjana dahinterkommt, bringt sie dich eigenhändig um, und ich kann es ihr nicht einmal verdenken.«
    »Du hast keine Ahnung, wie die Beziehung zu Sabina ist«, maulte Kurt.
    »Du hast es mir gerade erklärt. Ihr habt euch auseinandergelebt. Sie bildet sich fort und du massierst lieber andere Frauen.«
    »Du kennst Sabina nicht.«
    »Oh doch, ich kenne meine Schwägerin - aber du hast sie dir ausgesucht!« Hogart kam mit zwei Kaffeetassen ins Wohnzimmer, für Kurt wie immer eine Kindermischung, süß und zur Hälfte mit Milch gefüllt, für sich schwarz ohne Zucker. Er setzte sich an den Couchtisch. »Mutter hat Vater auch jahrelang betrogen.« In seinen Augen war Kurt um nichts besser. Anscheinend sah sein Bruder das auch so, da er nichts erwiderte.
    Das Fernsehgerät lief bereits und der Adapter mit der Kassette steckte im Videorekorder. Hogart betätigte die Fernbedienung. Zunächst erschien nur ein Flimmern auf dem Bildschirm. Dann tauchte in grobkörnigen Schwarz-Weiß-Tönen das Zimmer eines Krankenhauses auf. Ein vergittertes Fenster, eine Stehlampe in der Ecke, ein Bett mit Haltegriffen und ein Nachttisch, auf dem ein Tablett stand. Weiße Fliesen an den Wänden, eine Neonröhre und freiliegende Stromleitungen an der Zimmerdecke. Die Einrichtung wirkte genauso alt wie die Aufnahme. Das Bild wackelte, offensichtlich mit einer Handkamera ohne Stativ aufgenommen.
    »Oh Gott, lass das kein Snuff-Video sein«, jammerte Kurt.
    »Sei still!« Hogart hörte das Drücken einer Taste.

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