Die Engelsmuehle
Familie lag.
Hogart ließ sich auf die Couch fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Was hat sie rausgefunden?«
»Professor Linda Bohmann ist nur ein Jahr älter als du, ein vierundsechziger Jahrgang. Sie unterrichtet moderne Malerei an der Luttenberger Kunstakademie.«
»Nicht schlecht.« Manchmal war der digitale Wahnsinn ja doch ganz nützlich.
Kurt hielt die Hand auf. »Das macht zehn Euro.«
»Sagen wir, ich bin dir ein Essen bei McDonald’s schuldig.« Hogart sprang auf, ging in den Vorraum und griff nach seiner Geldbörse, dem Handy und dem Autoschlüssel.
»Jetzt gleich, aber …?«, protestierte Kurt.
»Ein anderes Mal.« Hogart ging zur Tür. »Na los, komm! Ich dachte, du hättest einen Termin in deiner Praxis.« Kurt folgte ihm. »Und wohin gehst du?«
»Unsere Frau Professor ist sicher schon ganz wild drauf, mich kennenzulernen.«
4
Die Luttenberger Kunstakademie lag am Ring, der um die Wiener Innenstadt führte. Das zweistöckige Gebäude wurde von dem mächtigen Völkerkundemuseum, der Augustinerbastei und der Hofburg umgeben, welche die Nationalbibliothek beherbergte. Obwohl die Kunstakademie im ähnlich verspielten Stil der k.u.k.-Monarchie errichtet worden war wie die anderen Gebäude, mit Säulen, Treppenaufgängen und zahlreichen Erkervorsprüngen, ging sie neben den anderen Bauwerken regelrecht unter.
Hogart parkte seinen Wagen unter einer Linde. Die Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und spiegelten sich in den weißen Kieselsteinen, die den Platz vor der Akademie bedeckten. Hogart steckte sich die Sonnenbrille ins Haar und wollte soeben über den Kies zum Treppenaufgang gehen, als eine blitzblaue, aufgemotzte Aprilia über den Kies ratterte, eine Runde um den Springbrunnen drehte und direkt neben Hogarts Wagen zum Stehen kam. Noch bevor der Motor erstarb, wurde Hogart von einer stinkenden Abgaswolke eingenebelt. Diese Göre tauchte immer dann auf, wenn man sie am wenigsten brauchte.
Die Fahrerin zog sich den ebenfalls blitzblauen Motocross-Helm vom Kopf und schüttelte ihr schwarzes zu Rastazöpfen geflochtenes Haar. »Hallo, Onkel Peter.«
»Ich hasse es, wenn du mich so nennst.«
»Sollte ich lieber etwas anderes zu dir sagen, Hog?« Tatjana grinste.
Am liebsten hätte er Kurt, die alte Quasseltante, eigenhändig erwürgt.
Offensichtlich bemerkte Tatjana seinen zornigen Blick, da sie sogleich die Arme entschuldigend hob. »Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin.«
»Und woher weißt du, dass ich hier bin?«
»Anfängerglück.«
Tatjana stieg vom Moped, fädelte eine Kette durch den Hinterreifen und den Sturzhelm und verriegelte das Schloss. Mittlerweile hatten einige Professoren die Akademie verlassen. Sie standen im Schatten unter dem Vordach des Treppenaufgangs, unterhielten sich und warfen Blicke zu ihnen herüber.
Hogart musste eine Entscheidung treffen - und die konnte nur lauten, Tatjana so schnell wie möglich loszuwerden. Manchmal erinnerte sie ihn ein wenig an Kurt, nur dass sie nicht auf der Bio-Hippie-Esoterik-Welle schwamm, sondern eine Spur extremer unterwegs war. Trotz ihrer knapp siebzehn Jahre und der zierlichen Figur trainierte sie zweimal pro Woche am Sandsack in der Boxhalle, spielte Bass in einer Mädchen-Punkband, die sich Johnny Depp nannte, trug ein Nabelpiercing und ein Gothic-Tattoo auf der Schulter. Spider stand darunter, ihr Spitzname in der Band. Hogart konnte den Schriftzug unter dem dünnen Träger des Shirts erkennen. Eigentlich sah es nicht schlecht aus, doch auf dem Körper seiner Nichte gefiel es ihm nicht. Ein Leben lang hatte er von sich behauptet, dass er sich niemals in einen alten, konservativen Kerl verwandeln würde - so wie sein Vater kurz vor dessen Tod -, doch seitdem sich Tatjana mehr und mehr zu einem Freak entwickelte, war er sich dessen nicht mehr sicher.
»Tatjana, bitte«, begann er. »Fahr wieder nach Hause und …«
»Ich habe das Foto in der Zeitung gesehen. Der Ermordete hat meinem Vater ein Video zukommen lassen, das du jetzt besitzt.«
Typisch. Sein Bruder konnte einfach nicht die Klappe halten. »Unter welchem Vorwand gehen wir da jetzt rein?«
»Sei still!« Hogart warf einen Blick zu dem Lehrkörper an der Balustrade.
»Als wer geben wir uns aus?«, wisperte Tatjana. »Wir geben uns als gar niemand aus«, zischte Hogart. »Du fährst wieder heim!«
Tatjana stellte sich auf die Zehenspitzen. »Ich schlage vor, wir sind ein Ehepaar, das sich für Kunst interessiert.«
»Sehr
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