Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Prolog
Königsberg
Ende März 1542
M it einem lauten Poltern wurde die Tür zur Werkstatt aufgestoßen. Erschrocken fuhr Dora zusammen, wagte kaum, von den Entwürfen auf dem Tisch aufzusehen. Wenn der Vater dort unter dem Türstock stand, würde es gleich ein gewaltiges Donnerwetter setzen. War ihr der Aufenthalt in der Werkstatt streng verboten, so war es ihr erst recht strengstens untersagt, an den Bauplänen zu arbeiten. Ihre Finger zitterten, als sie vorsichtig den Reißstift zur Seite legte, das aufgeschlagene Buch über den Entwurf zog und zur Tür spähte. Jörg! Sobald sie den vier Jahre älteren Bruder im Türstock erkannte, atmete sie auf. »Was willst du?«
Er sparte sich die Antwort, zu sehr war er noch mit Luftholen beschäftigt. Die steile Treppe in den zweiten Stock des Hauses musste er regelrecht hinaufgeflogen sein, so glutrot leuchtete sein Gesicht. Breitbeinig stand er da, den Daumen der linken Hand locker in der Gürtelschlaufe eingehakt, die Schultern leicht nach vorn gebeugt. Das tropfnasse Barett auf dem Kopf verriet ebenso wie die vor Regen triefende Schaube, dass er lange draußen unterwegs gewesen war. Unter dem schwarzen Revers des Überwurfs blitzte der beige Faltrock hervor, ebenso schimmerten die Strumpfhosen an den Waden heller als die Kniehose darüber. Das Leder der Kuhmaulschuhe war durchweicht. Auf den Holzdielen bildeten sich dunkle Lachen. Seit Stunden prasselte der Regen gegen die Fenster, ein kräftiger Wind fegte durch die Gassen. Nicht eben das Wetter, um sich außerhalb der schützenden vier Wände aufzuhalten. Einem Kunstdiener wie Jörg aber blieb nichts anderes übrig, als auch an einem solchen Tag brav auf der Baustelle zu sein.
Fahrig fuhren Doras Finger den bestickten Rand ihres Gollers entlang, glitten über den flachen Busen zum Gürtel hinunter, um das daran befestigte Besteckkästchen sowie die Schlüssel und das Nadeldöschen zu sortieren. Leise klirrten die Ketten gegeneinander. Eigentlich war es höchste Zeit, Renata in der Küche beim Kochen zur Hand zu gehen. Längst hatte es von der Uhr am nahen Dom zehn geschlagen. Andererseits schien der Bruder etwas Dringendes auf dem Herzen zu haben, sonst hätte er kaum die Baustelle verlassen, noch dazu wahrscheinlich ohne das Wissen des Vaters. Das zumindest meinte sie aus seinem gehetzten Gesichtsausdruck abzulesen.
»Komm rein, wenn du mit mir reden willst.« Sie machte keinen Hehl aus ihrem Unmut über die Störung. »Wieso bist du nicht auf der Baustelle? Gab es etwa schon wieder Streit zwischen Vater und dir?«
»Keine Sorge«, wiegelte er ab und schloss vorsichtig die Tür. In wenigen Schritten stand er bei ihr, nahm schwungvoll das Barett vom hellbraunen Haar. Wild spritzten die Regentropfen durch die Luft. Der pelzverbrämte Kragen seiner Schaube glitzerte feucht, an den Enden perlten dicke Wassertropfen.
Eilig versuchte Dora das aufgeschlagene Buch vor der Nässe in Sicherheit zu bringen. Dabei fielen die getrockneten Reste einer Schafgarbendolde heraus. Vor Scham glühten ihre Wangen. Wieder zitterten ihr die Finger, als sie versuchte das bröselig gewordene Kraut zwischen die Seiten zurückzuschieben. Zu spät! Jörg hatte sowohl das Buch wie auch die Schafgarbenreste entdeckt. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem wissenden Grinsen. Für einen Moment verloren seine rehbraunen Augen darüber sogar den traurigen Schimmer, der ihnen eigen war und dem vollen, bartlosen Gesicht einen Anstrich von Schwermut zu verleihen pflegte.
»Schafgarbe, schöner Schafgarbentraum, hilf mir, meinen Liebsten zu schau’n«, spöttelte er. »Da hat dir unsere verrückte Renata letztens einen schönen Brauch ans Herz gelegt. Bestimmt hast du das Schicksal schon auf die Probe gestellt. Sag schon, wer ist der Glückliche?«
»Lenk nicht ab und verrate endlich, warum du mitten am Tag so kopflos in die Werkstatt gerannt kommst. Das tust du wohl kaum mit Vaters Einverständnis, sonst wärst du nicht derart abgehetzt. Also hat es doch wieder Krach gegeben.« Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, legte ihm die Hand auf den Arm. »Mit deinem Weglaufen machst du das alles immer nur noch schlimmer.«
»Schlimmer als jetzt geht es doch schon gar nicht mehr«, erwiderte er heiser. Sein Antlitz verfinsterte sich von neuem, bis er sich wieder gefasst hatte und weitaus bestimmter erklärte: »Dir ist hoffentlich klar, dass auch du gerade gefährlich mit dem Feuer spielst. Nicht nur, dass du dich Vaters Verbot zum Trotz hier
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