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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Sechsecken. Sie hatte schon über hundert Rosetten genäht, ohne zu wissen, was sie mit ihnen anfangen sollte.
    Da die Arbeit nicht besonders anspruchsvoll war und ihr außerdem die Hitze zu schaffen machte, ließ Honors Konzentration schnell nach, und bald fielen ihr die Augen zu. Gegen Mittag wurde sie von Digger geweckt, der plötzlich vor ihr stand und knurrte. Honor sprang erschrocken auf: Sie war viel zu spät dran mit dem Mittagsimbiss für die Feldarbeiter. Hastig legte sie die Fleischpasteten mit etwas Brot und Käse in den Korb, stellte eine Schale mit Tomaten und einen Krug Milch dazu und eilte den Weg am Waldrand entlang zum Feld, wobei ihr der schwere Korb immer wieder gegen die Beine schlug.
    Als sie ankam, arbeiteten die anderen noch, denn bevor Honor nicht da war, gab es für sie keinen Grund aufzuhören. Die vor einigen Tagen gemähte Luzerne hatte draußen auf dem Feld getrocknet und war am Vortag zusammengerecht worden, jetzt konnte sie in die Scheune gebracht werden. Der Wagen stand neben einem der vielen über das Feld verstreuten Heuhaufen, und als Honor den Korb abstellte, stießen Jack und Judith ihre Heugabeln in das aufgetürmte Heu.
    In dem Moment gellte ein lauter Schmerzensschrei aus dem Haufen. Honors Magen krampfte sich vor Schreck zusammen. Wie erstarrt stand sie da und sah eine schwarze Frau aus dem Heu springen. Geblendet vom Sonnenlicht, schlug sie sich die Hand über die Augen, und noch bevor irgendjemand reagieren konnte, rannte sie los und sprang in panischer Flucht wie ein Reh direkt auf Honor zu. Erst im letzten Moment schlug sie einen Haken, doch Honor hatte noch einen kurzen Blick auf schreckgeweitete Augen und zusammengepresste Lippen erhaschen können, bevor die Frau laut krachend durchs Unterholz brach und in den Wielandwald lief.
    Honor sah nur noch Arme, einen wehenden braunen Rock und ein rotes Kopftuch, dann war die Frau ganz verschwunden, obwohl das Rascheln und Krachen im Unterholz noch eine Weile zu hören war. Als auch dies verstummte, drehte sich Honor wieder zu den Quäkern auf dem Feld um. Alle starrten sie an.
    Nein, dachte Honor. Ich habe nichts damit zu tun.
    Nur Caleb Wilson blickte sie wohlwollend an. In den Gesichtern der anderen Freunde las Honor, dass sie das Erscheinen der entflohenen Sklavin mit ihrer Ankunft in Verbindung brachten. Selbst wenn sie ihr Schweigen gebrochen und ihnen erklärt hätte, dass sie nichts damit zu tun habe und es sich um einen Zufall handele, hätten die anderen ihr nicht geglaubt. Judith hatte den Mund zu ihrem üblichen leeren Lächeln zusammengepresst. Sie sagte nichts, sondern kam zu Honor und nahm ihr den Essenskorb ab.
    Ich ertrage es nicht länger, dachte Honor. Ich könnte sagen, was ich wollte, sie würden ihre Einstellung zu mir trotzdem nicht ändern. Meine Worte bedeuten ihnen nichts. In dem Moment schien etwas in ihrem Kopf zu zerspringen. Sie wartete nicht einmal mehr ab, bis Judith das Essen ausgepackt hatte, sondern machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zum Hof zurück. Jacks Rufen ignorierte sie. Seitlich von ihr lag der Wielandwald, aus dem jetzt nichts mehr zu hören war. Wo immer die entlaufene Sklavin sein mochte, sie verhielt sich völlig still.
    Zurück auf dem Hof, räumte Honor die Stoffsechsecke, die sie auf dem Küchentisch liegen gelassen hatte, zurück in den Arbeitskorb und ging dann die Treppe hoch nach oben. Mühsam zog sie sich und ihren schweren Babybauch am Handlauf hoch. Im Schlafzimmer fiel ihr Blick auf den Quilt, den sie am Morgen auf dem Bett glatt gestrichen hatte. Es war der »Stern von Bethlehem«, den sie noch zu Hause genäht hatte. Für Honor würde es immer Biddys Quilt bleiben, und immer würde sie sich dafür schämen, dass sie ihn zurückfordern musste. Der Signaturquilt aus Bridport lag zusammengefaltet am Fußende des Bettes. Sie konnte keinen von beiden mitnehmen.
    Honor holte sich einen Schal, ein Briefmesser und das bisschen Geld, das ihr von der Reise nach Ohio übrig geblieben war. Jack hatte sie nie darum gebeten. Dann nahm sie ihre Alltagshaube ab und setzte die graugelbe Haube auf. Sie befürchtete, dass Judith Belles Geschenk aus Wut weggeben würde, wenn sie es zurückließe. In der Küche nahm sie sich ein Stück Hartkäse, einen Laib Brot, ein paar Streifen getrocknetes Rindfleisch und einen Beutel voll Pflaumen. Honor hatte noch nie für einen

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