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Die englische Freundin

Die englische Freundin

Titel: Die englische Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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das vor. Honor knüpfte ihr Bündel auf, legte die Pflaume zurück in den Beutel und holte etwas Brot und Käse heraus. Die Sklavin schüttelte den Kopf. »Im letzten Haus haben sie mich ordentlich abgefüttert, ich brauch gerade nichts. Die Frau hat mir gesagt, ich soll Sie grüßen, obwohl sie meinte, dass ich besser weiter bis zur nächsten Haltestelle laufe und Sie nicht belästige, wegen dem da und überhaupt.« Sie deutete auf Honors Bauch. »Wenn der Sklavenfänger mich nicht vom Weg gejagt hätte, wäre ich gar nicht im Heuhaufen gewesen. Es war derselbe wie beim letzten Mal. Da hat er mich in diesem Wald geschnappt. Der ist ganz schön hartnäckig, was? Ich glaub, der weiß gar nicht, wer ich bin, aber er jagt mich trotzdem.«
    Sie hielt inne. Auch das Eichhörnchen, das anfangs seine Lautstärke verdoppelt hatte, um gegen beide Frauen anzuschimpfen, war still geworden. In der Ferne hörten sie den unregelmäßigen Hufschlag eines Pferdes; es näherte sich über den Fahrweg aus Richtung Süden. Es war das erste Mal seit dem Tod des Flüchtlings, dass Donovan in die Gegend kam. Er wusste noch nicht, dass Honor verstummt war.
    Doch genau in diesem Moment brach Honor ihr Schweigen und setzte ihm so ein würdiges und undramatisches Ende. »Ich komme mit.« Die ersten Worte, die sie seit über drei Monaten sprach, kamen als kratzendes Flüstern heraus.
    Â»Danke, aber ich weiß, wohin ich gehen muss.«
    Honor räusperte sich, um besser sprechen zu können. »Wir müssen aus dem Wald raus. Hier wird er auf jeden Fall suchen.« Nicht nur Donovan, auch Jack würde im Wald suchen. Wenn er in ein paar Stunden mit Dorcas und Judith zum abendlichen Melken auf den Hof zurückkam, würde er feststellen, dass Honor verschwunden war, und Alarm schlagen.
    Sie lauschten, und Honor überlegte. Im nördlich gelegenen Heufeld konnten sie sich nicht verstecken, denn von dort waren noch immer die Stimmen ihrer Familie zu hören, das Klirren von Pferdegeschirr und das schwere Ächzen des Wagens. Donovan versperrte die Fluchtroute nach Osten, die über den Fahrweg am Hof vorbei in Richtung Faithwell führte. In Richtung Westen wollte Honor nicht; der Weg durch den Wielandwald endete mitten im Nichts, außerdem führte er durch unbekanntes Gebiet und von der Straße nach Oberlin weg. Wenn sie es aber bis in die Nähe der Straße zwischen Oberlin und Wellington schaffen würden, könnten sie ihr in einigem Abstand durch die danebenliegenden Felder folgen.
    Â»Wir müssen den Weg dort hinten überqueren«, Honor deutete in Richtung Süden, »dann kommen wir in ein Maisfeld, das noch nicht abgeerntet wurde. Dort können wir uns bis zum Einbruch der Dunkelheit verstecken und uns dann in Richtung Osten zur Landstraße durchschlagen.«
    Die Frau nickte. »Aber erst muss ich was trinken.« Sie ging voraus zu dem Bach, der mitten durch den Wald floss. Im letzten Jahr hatte Honor dort Dorcas im Schlamm gewälzt, um den Schmerz ihrer Wespenstiche zu lindern.
    Bis auf einige Pfützen mit brackigem Wasser, über denen Insekten schwirrten, war der Bach fast ganz ausgetrocknet. Die Frauen folgten seinem Verlauf, bis sie ein kleines Rinnsal über einem Stein fanden. Die entflohene Sklavin hielt ihren Mund darunter, um so viel Wasser wie möglich aufzufangen. Dann bedeutete sie Honor, es ihr nachzumachen. Honor versuchte, in die Hocke zu gehen, ließ sich dann aber unbeholfen in den Vierfüßlerstand hinab, um das Baby nicht einzuzwängen. Als ihr aufging, dass sie den Mund an dieselbe Stelle legen musste, an der kurz vorher der Mund der Negerin gewesen war, zögerte sie kurz; doch der Gedanke verflog sofort wieder, und sie legte ihren Mund auf den Stein. Das Wasser schmeckte himmlisch.
    Dann half ihr die Frau wieder auf die Beine und lief vor Honor her zum Fahrweg. Sie hatte eindeutig das Kommando übernommen. Honor war es recht. Es war schon mehr als genug für sie, an einem Nachmittag im Spätsommer mit einer Negerin im Wald unterwegs zu sein, um … Ja, wo wollte sie eigentlich hin? Sie wusste es nicht, sie wollte einfach nur weg.
    Die schwarze Frau bewegte sich leise und sicher durch den Wald. Sie schien ihren Körper so gut unter Kontrolle zu ha ben, dass sie an keinem Ast entlangstreifte und kein Laubblatt bewegte. Honor konnte es ihr nicht gleichtun: Sie knackste durchs

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